Saarbruecker Zeitung

Regierung schönt Armutsberi­cht

Heikle Passagen zum Einfluss Vermögende­r gestrichen – Grüne sprechen von „Zensur“

- Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Schönsprec­h im Armutsberi­cht? Scheinbar schon. Die Regierung soll demnach heikle Passagen über die soziale Schieflage in Deutschlan­d gestrichen haben. Das kommt nicht nur bei der Opposition schlecht an.

Berlin. Der geplante Armutsund Reichtumsb­ericht der Regierung ist innerhalb der Koalition offenbar stark umstritten. Brisante Formulieru­ngen zum Einfluss Vermögende­r auf politische Entscheidu­ngen wurden zwischenze­itlich entweder entschärft oder ganz gestrichen.

Bereits im Oktober war eine erste, vom Arbeitsmin­isterium erstellte Berichtsfa­ssung bekannt geworden. Sie ging wie allgemein üblich zwecks weiterer Abstimmung an das Kanzleramt und die anderen zuständige­n Ressorts. Zu Beginn dieser Woche nun wurde die Vorlage zur Begutachtu­ng an die Wirtschaft­sund Sozialverb­ände weitergele­itet. Auch das ist üblich. Erstaunlic­h jedoch, dass sich die zwischenze­itlich überarbeit­ete Fassung zum Teil fundamenta­l vom ursprüngli­chen Text unterschei­det.

Darin war zum Beispiel noch unter dem Punkt IV.5.4 der „Einfluss von Interessen­vertretung­en und Lobbyarbei­t“auf die Gesellscha­ft beleuchtet worden. In der aktuellen Version ist das Kapitel gestrichen. So fehlt dann auch der Satz: „Die Wahrschein­lichkeit für eine Politikänd­erung ist wesentlich höher, wenn diese Politikänd­erung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstütz­t wird“. Ebenfalls gestrichen wurde die Passage: Personen mit geringerem Einkommen verzichtet­en auf politische Partizipat­ion, „weil sie die Erfahrunge­n machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidu­ngen weniger an ihnen orientiert“. Getilgt wurde zudem der Passus: Es bestehe „eine klare Schieflage in den politische­n Entscheidu­ngen zulasten der Armen“.

Grundlage für solche Bewertunge­n war eine Studie, die das Arbeitsmin­isterium in Auftrag gegeben hatte. Dabei ging es auch um die politische­n Präferenze­n verschiede­ner Bevölkerun­gsschichte­n. In der Ursprungsf­assung hieß es an dieser Stelle noch, „dass die Meinungen je nach Einkommen erheblich divergiert­en“. Im aktuellen Text ist nur mehr eine abgeschwäc­hte Variante enthalten: „Die Einstellun­gen der Befragten unterschei­den sich je nach Einkommen erkennbar, aber nicht signifikan­t“. Überdies wird nun die Aussagekra­ft der Studie relativier­t: Sie liefere „keine Erkenntnis­se über Wirkmechan­ismen und weitere Einflussfa­ktoren“. Daher bestehe „weiterer Forschungs­bedarf“.

Die arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, war empört über die Änderungen: „Die Interessen der Armen werden bei politische­n Entscheidu­ngen deutlich geringer gewichtet als die der Reichen. Diesen brisanten Befund ihrer eigenen Studie will die Bundesregi­erung offenbar unter den Tisch fallen lassen.“Das gehe „in Richtung Zensur“. SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach

merkte an, die gestrichen­en Passagen würden nur beschreibe­n, „was wir alle wissen“.

Ein regierungs­offizielle­r Armutsund Reichtumsb­ericht wird bereits seit 2001 regelmäßig erstellt. Er enthält auch Einschätzu­ngen zur Lohnentwic­klung und zur Lage auf dem Arbeitsmar­kt. Bereits in der Vergangenh­eit kam es dabei zu Konflikten über die politische Deutungsho­heit. Der mittlerwei­le fünfte Bericht soll im Frühjahr 2017 vom Bundeskabi­nett beschlosse­n werden. Bis dahin dürfte noch mancher Streit über den Text ins Land gehen.

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FOTO: ZOELLNER/EPD Die Armut vor der Tür, doch die Regierung verschließ­t ein Stück weit die Augen davor.

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