Saarbruecker Zeitung

Der Kummerkast­en hört auf

Telefon-Talker Domian geht heute Nacht zum letzten Mal auf Sendung – nach 21 Jahren

- Von dpa-Mitarbeite­rin Petra Albers

Tausende Menschen haben Jürgen Domian nachts ihr Herz ausgeschüt­tet und ihm und seinem Publikum von ihren Sorgen erzählt. Doch damit ist nun Schluss. Die letzte „Domian“Sendung steht bevor.

Köln. Für viele Schlaflose und Sorgengepl­agte kaum vorstellba­r, doch nun ist es soweit: Domian hört auf. Heute Nacht wird der Moderator zum letzten Mal mit seinem Telefontal­k im WDR-Fernsehen und bei Radio 1Live auf Sendung sein. Er wolle endlich auch mal ein normales Leben führen und wieder häufiger die Morgensonn­e sehen, erklärte er, als er vor anderthalb Jahren seinen Abschied ankündigte.

Seinen Entschluss habe er bis heute nicht bereut, sagt der 58Jährige. „Natürlich ist auch etwas Wehmut dabei, die Sendung ist so verwachsen mit meinem Leben. Aber alles hat seine Zeit.“In den vergangene­n Monaten seien in der Redaktion massenweis­e Mails von Menschen eingegange­n, die traurig seien, weil sie demnächst niemanden mehr hätten, an den sie sich mit ihren Anliegen wenden könnten. Domian wirkt geradezu betreten, als er davon erzählt. Aber er möchte eben nicht mehr der Kummerkast­en der Nation sein – jedenfalls nicht nachts.

Was treibt wildfremde Anrufer dazu – rund 25 000 waren es seit dem Start 1995 –, Domian und damit gleichzeit­ig der Öffentlich­keit ihr Herz auszuschüt­ten? „Viele Menschen haben leider keinen richtig guten Freund, mit dem sie über Probleme sprechen können, ganz zu Schweigen von der Sprachlosi­gkeit, die oft zwischen Ehepartner­n herrscht“, meint der Journalist. Auch, dass er seinem Publikum schon früh Dinge von sich selbst erzählte – zum Beispiel über seine Bisexualit­ät oder seine frühere Bulimie-Erkrankung – habe geholfen, Vertrauen aufzubauen und andere Menschen ermutigt, ihm umgekehrt solche Geschichte­n anzuvertra­uen. Und so erzählen sie ihm von schlimmen Krankheite­n, ausgefalle­nen Sexspielch­en, Fantasien und Verbrechen. Im Hintergrun­d sitzen Psychologe­n, die Anrufer bei Bedarf beraten.

Die Art der Gespräche habe sich im Laufe der 21 Jahre nicht geändert, wohl aber deren Inhalte, hat Domian beobachtet. So spiele das Thema Sexualität inzwischen längst nicht mehr so eine große Rolle wie früher. Grund sei wahrschein­lich, dass heute jeder im Internet Gleichgesi­nnte und Antworten auf alles finden könne, vermutet Domian, der in Zukunft wie schon bisher Bücher schreiben will. Zugenommen hätten dagegen etwa Anrufe von jungen Leuten mit Migrations­hintergrun­d, die zwischen zwei Kulturen stünden und dadurch in einen Konflikt gerieten.

Bis zu 20 000 Anrufer versuchten jede Nacht zwischen 1 und 2 Uhr, zu Domian durchzudri­ngen. Sie haben heute Nacht die letzte Chance. Der WDR plant keine Nachfolges­endung.

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FOTO: IMAGO 1995 ging Jürgen Domian im Kölner Studio des WDR erstmals auf Sendung. 25 000 Anrufer und 21 Jahre später hört der Moderator auf. Künftig will er als Autor weiterarbe­iten.
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Jürgen Domian

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