Auf dem hohen Ross
Ideologische Debatte über Abschiebungen führt in die Irre
Deutschland hat 2015 rund eine Million Flüchtlinge aufgenommen. So viele wie kein anderer europäischer Staat. Kein anderes europäisches Land neben Schweden lässt sich bei seiner Aufnahmebereitschaft so stark von humanitären Werten leiten wie Deutschland. Daran muss erinnert werden, denn mit der hitzigen Debatte über die erste Sammelabschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan scheinen sich die Maßstäbe zu verschieben. Zumindest für den Geschmack der Opposition ist die Republik plötzlich zu einem Ort der Willkür geworden, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Auf dem ganz hohen moralischen Ross sitzen dabei jene, die pauschal gegen jede Abschiebung sind. Doch die Welt funktioniert eben nicht wie im linksideologischen Lehrbuch.
Klar muss sein: Nicht alle Menschen, die nach Deutschland kommen, haben ein Bleiberecht. Wenn aber so viele kamen wie noch nie, dann muss zwangsläufig auch die Zahl der Zurückweisungen steigen. Im Rechtsstaat gibt es dafür klare Verfahren: Über den Asylantrag entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Danach sind die kommunalen Ausländerbehörden am Zuge. Reichen die individuellen Fluchtgründe nicht für ein Bleiberecht aus, gelten die Betroffenen als ausreisepflichtig. Wobei individuell geprüft wird, ob die Rückführung ins Heimatland verantwortbar ist oder nicht. Droht dort zum Beispiel Gefahr für
GLOSSE Leib und Leben, darf der Betroffene bleiben.
Aus humanitären Erwägungen haben deshalb auch mehr als 10 000 afghanische Flüchtlinge einen sogenannten Duldungsstatus in Deutschland. Eine Ewigkeitsgarantie dafür gibt es allerdings nicht. Denn die Situation im Heimatland kann sich auch wieder zum Besseren wenden. Zweifellos ist die Sicherheitslage in Afghanistan hoch problematisch. Wahr ist allerdings auch, dass die amtliche Schutzquote für Flüchtlinge aus diesem Land bei etwa 50 Prozent liegt. Das heißt im Umkehrschluss: Rund die Hälfte der hier lebenden Afghanen erhält kein Asyl, muss also früher oder später mit der Ausreise rechnen.
Abschiebungen sind letztlich Ländersache. Deshalb werden sie auch sehr unterschiedlich gehandhabt. Während etwa in Bayern ein vergleichsweise strenges Regiment herrscht, rühmte sich Thüringen lange Zeit für seinen generellen Abschiebestopp im Winter. Doch mit den stark anschwellenden Flüchtlingsströmen hat sich die Situation geändert. Die Notwendigkeit, genauer zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden, ist offensichtlich geworden. Sie liegt übrigens auch ganz im Interesse der vielen Menschen, die den Schutz vor Gewalt und Verfolgung wirklich benötigen. Ärgerlich nur, dass erst eine rechtspopulistische Truppe wie die AfD groß werden musste, bevor die etablierten Parteien die Zeichen der Zeit besser erkannten.