Arbeiten bis zur Zwangsjacke
Regisseur Werner Herzog über seinen neuen Film, Veronica Ferres und Kim Jong-un
Werner Herzog ist der große deutsche Kino-Exzentriker – einst hievte er mit Klaus Kinski ein ganzes Schiff über einen Berg am Amazonas („Fitzcarraldo“). 2015 präsentierte er Nicole Kidman als „Königin der Wüste“auf der Berlinale. Nun folgt Veronica Ferres in „Salt and Fire“. In dem Öko-Drama spielt sie eine UN-Wissenschaftlerin, die auf ihrer Forschungsmission am größten Salzsee der Erde zum Opfer einer Entführung wird. SZ-Mitarbeiter Dieter Oßwald hat mit dem Regisseur gesprochen.
Bei ihrem 2015er Film „Königin der Wüste“mit Nicole Kidman haben Sie auf der Berlinale eingeräumt, dass Sie in Ihren Filmen die Frauen vielleicht zu spät entdeckt hätten... Herzog: Das ist eher eine statistische Anomalie. Es gibt ja auch Dokumentarfilme von mir, in denen Frauen die zentralen Figuren sind. „Schwingen der Hoffnung“etwa mit Juliane Koepcke, die einen Flugzeugabsturz überlebt hat – auf diesem Flieger wäre ich übrigens fast selbst an Bord gewesen, was nur ein Zufall verhinderte. Aber es stimmt, ich hätte auch ruhig früher schon Spielfilme mit Frauen als zentralen Figuren machen können. Irgendwie hat sich das nie ganz ergeben.
Wie hat sich Veronica Ferres für diesen Film ergeben? Herzog: Bei diesem Stoff dachte ich, das muss eine ganz großartige Schauspielerin machen. Mir war sofort klar: Veronica Ferres. Die ist in Deutschland ja ein Star. Aber was sie wirklich in den Knochen hat, das hat man nicht wirklich entdeckt.
Sie treten bisweilen auch vor der Kamera auf. In „Jack Reacher“mit Tom Cruise gaben sie den Bösewicht, vor kurzem haben Sie sich als potenziellen Bond-Bösewicht ins Spiel gebracht...
Die Entführte und der Drahtzieher: die Wissenschaftlerin Laura Sommerfeld (Veronica Ferres) und Matt Riley (Michael Shannon), ein ehemaliger Konzernmanager mit Öko-Bewusstsein.
Herzog: Ja, das sage ich manchmal im Scherz. Alle letzten Bond-Bösewichter waren nicht sonderlich schreckenerregend, eher harmlos. Vermutlich hätte ich es besser gemacht. Aber ich sage das als Scherz, und so muss man es verstehen.
Sie sind berühmt für die Art, wie Sie sprechen. Haben Sie schon immer so geredet? Oder hat sich das als Kunstform entwickelt? Herzog: Das hat sich sicher auch entwickelt. Wenn Sie mich als Kommentarstimme in meinen Dokumentarfilmen hören, ist das zwar keine Bühnensprache, aber schon eine Art von Öffentlichkeitston. Der klingt etwas anders als meine rein private Sprechweise – er kommt ihr aber relativ nahe.
„Salt and Fire“erzählt vom Raubbau an der Natur. Wie wichtig ist Ihnen im Film die politische Botschaft? Herzog: Darüber wird fast nie geredet, das findet nur am Rande statt. Es handelt sich ja auch um ein völlig fiktives ökologisches Desaster. Diese Salzwüste, die man in Bolivien sieht, gehört nicht nach Südamerika, das ist eine Landschaft von einem anderen Planeten. Das ist reine Science-Fiction.
Wären Ihnen politische Bezüge zur Realität zu banal? Herzog: Nein, das dürfen Sie gerne hineinlesen. Es ist ja auch ein Bestandteil des Films. Nur spielt das keine so große Rolle. Eine viel größere Rolle spielt, dass es zu einer ganz eigenartigen, unerwarteten Geiselnahme kommt und die Wissenschaftlerin mit Vorbedacht in einer Salzwüste mit zwei Kindern ausgesetzt wird. Erst am Ende erfahren wir, weshalb das gemacht wurde.
Bei Ihrer Netflix-Dokumentation „In den Tiefen des Infernos“nähern Sie sich aktiven Vulkanen. Wie groß ist dabei die Angst? Herzog: Die Frage von Angst stellt sich da nicht. Wenn Sie eine Kamera haben, dann machen Sie Ihren Job.
Die Spuren der Vulkane haben Sie bis nach Nordkorea geführt. Herzog: Der Vulkan spielt in der koreanischen Mythologie eine immense Rolle. Seit Jahrtausenden gilt er als Geburtsort des koreanischen Volkes. Die kommunistische Revolution Ende der 40er Jahre hat sich diesen Mythos angeeignet und diesen Vulkan als Epizentrum der Revolution erklärt. Alles, was an Propaganda in Nordkorea zu sehen ist, bezieht sich immer wieder auf den Vulkan.
Ihre geplante Begegnung mit dem Führer Kim Jong-un ist jedoch ausgeblieben. Herzog: Das war mir schon klar, aber ich habe es trotzdem versucht. Das Problem für unsere Entourage war die Unsicherheit, wie man ihn in einem Brief anspricht. Sein genauer Titel war vor einem Jahr noch nicht genau festgelegt. Man kann ihn nicht als „Herr Präsident“anreden, weil der Großvater auch nach seinem Tod der Präsident für die Ewigkeit ist. Wie lösten Sie die Titelfrage? Herzog: Ich erinnere mich nur vage. Es war wohl so was wie: „Sehr geehrter junger Bruder und Führer des Volkes und Vorsitzender der gemeinsamen Militärkommission“.
Sie unterrichten mittlerweile Filmstudenten online. Wieso? Herzog: Es haben sich immer mehr junge Filmleute gemeldet, die unbedingt von mir lernen oder Assistent sein wollten. Es gibt deswegen die „rogue filmschool“und den „Leitfaden für die Verwirrten“. Und auch eine Masterclass.
Gibt es da einen neuen Herzog? Herzog: Es wäre ja das Schlimmste, wenn ich geklont würde und in der Zukunft gäbe es ein paar neue Herzogs, die, wie bei kleinen Ferkelchen, individuell nicht mehr unterscheidbar wären. Entsetzlich!
Was halten Sie von den Filmen von Til Schweiger? Herzog: Auch der hat mehr drauf als man so gemeinhin sieht. Til Schweiger hat etwas Außergewöhnliches.
Mit 74 sind andere längst in Rente. Wie lange werden Sie noch hinter der Kamera stehen? Herzog: Bis man mich in einer Zwangsjacke vom Drehort wegschafft.
„Salt and Fire“läuft von Samstag bis Dienstag im Kino Achteinhalb (Sb), am 22. und 23. Dezember (Original mit Untertiteln) und vom 27. bis 30. Dezember. Beginn 20 Uhr.