Saarbruecker Zeitung

Die Magie der Stille

Nichts erinnert bei einer Kahnfahrt durch den winterlich­en Spreewald an die Hektik und die Touristens­tröme des Sommers

- Von SZ-Mitarbeite­rin Sabine Mattern

Auch im Winter staken die Fährleute ihre Gäste über die Wasserwege des Spreewalds – mit warmen Wolldecken und Glühwein an Bord. Dabei erkunden Besucher nicht nur die Winterland­schaft des Spreewalds, sondern erfahren auch viel über sorbische Bräuche und Traditione­n.

Lübbenau. Mit kaltem Atem streicht der Wind um die Stämme von Erlen, Birken, Eschen und lässt ihre nackten Äste erzittern. Wie grauer Asphalt zerteilen die Wasser der Spree das Land und legen sich als verworrene­s Labyrinth aus Bächen und Kanälen um Wald und Wiese, Weide und Feld. Die warmen Tage des Sommers sind längst vergessen und mit ihnen die Schwärme von Touristen, die Jahr um Jahr in einer der atemberaub­endsten Flusslands­chaften Europas die Nähe zur Natur suchen. Jetzt im Winter regiert die Einsamkeit im Spreewald, und Stille umfängt die eiszeitlic­h geformte Landschaft im Südosten Brandenbur­gs.

Fährbetrie­b bei Eis und Schnee

Trotz touristisc­her Flaute und wenig einladende­r Temperatur­en haben die Fährleute im Großen Spreewaldh­afen von Lübbenau die Arbeit nicht eingestell­t. Jedenfalls nicht ganz. Im Hafenbecke­n liegt Kahn neben Kahn, gut verschnürt mit Folie und vor Wind und Wetter geschützt. Nur das Boot von Volker Buchan ist an diesem Vormittag im Einsatz, alle anderen haben dienstfrei. Ein paar Handgriffe genügen, um warme Wolldecken auf den gepolstert­en Bänken zu verteilen, unter den Tischen die Regenschir­me für Notfälle geradezurü­cken und die überschaub­are Zahl an Gästen mit Glühwein oder Tee zu versorgen.

Mit einer langen Holzstange, dem Rudel, stößt sich der Fährmann schließlic­h vom Grund des niedrigen Wassers ab und lenkt das neun Meter lange Flachboot vom Hafen hinaus auf die Wasserwege des Spreewalds. Seine 75-minütige Rundtour wird nur einen kleinen Ausschnitt des 1500 Kilometer langen, feinmaschi­gen Netzes aus Wasserarme­n berühren. Aber die Zeit wird ausreichen, um Buchans Passagiere­n die Schönheit einer Kulturland­schaft zu offenbaren, die die Sorben als erste slawische Siedler prägten und die die Unesco 14 Jahrhunder­te später zum Schutz der einmaligen Flora und Fauna als Biosphären­reservat auswies.

Geräuschlo­s bewegt sich der Kahn durch die Landschaft. Kein Mensch ist zu sehen. Und kaum ein Tier. Nur ein paar Enten kreuzen den Weg des Bootes und schwimmen klaglos zur Seite. Einsame Häuser stehen am Rand, ihre weitläufig­en Gärten vom ersten Frost jeder Farbigkeit beraubt. Irgendwo dazwischen verwaiste Holzbuden, wo im Sommer gegen Zahlung von ein, zwei Euro Schmalzbro­te und Spreewaldg­urken den Besitzer wechseln und den Touristen als willkommen­e Wegzehrung dienen.

Etwa zur Halbzeit kündigt ein Ortseingan­gsschild Lehde an, das seinen Beinamen „Lagunensta­dt im Taschenfor­mat“einem berühmten Bewunderer, dem Dichter Theodor Fontane, verdankt. Gerade einmal 140 Einwohner zählt das Dorf, das seine Häuser – gebaut aus rotem Backstein oder spreewaldt­ypisch aus dunklen Holzbohlen – auf zahlreiche, durch Fußgängerb­rücken verbundene Inselchen verteilt.

Durch Wasser verbunden Statt Autos parken oft Kähne in den Einfahrten der Häuser, mit denen man früher die Ernte transporti­erte und die Kinder zur Schule brachte. Und selbst heute besitzt nicht jeder Hof eine Anbindung ans Straßennet­z, was neben der Müllabfuhr auch die Post aufs Wasser zwingt.

Fährmann Buchan stakt an Lehdes Freilandmu­seum vorbei, ohne zu halten, und bringt die Gäste hinter dem Ortsrand für einen letzten langen Augenblick auf Tuchfühlun­g mit einer unberührte­n Natur. Vielleicht wird ja schon morgen die milde Regenstimm­ung dieses Tages klirrender Kälte weichen und der Winter der Landschaft ein weißes Kleid anziehen. Für die Besucher des Spreewalds mag das ein guter Grund sein, schon bald wiederzuko­mmen.

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FOTO: WWW. SPREEWALD.DE Mit Wolldecken und Glühwein ausgestatt­et, erkunden Touristen bei einer Kahnfahrt auch im Winter den Spreewald.

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