Saarbruecker Zeitung

Das letzte Kapitel einer kuriosen Kür

Heute werden die US-Wahlmänner wohl den höchst umstritten­en Donald Trump zum neuen Präsidente­n Amerikas machen – und Kritik am System heraufbesc­hwören

- Von SZ-Korrespond­ent Frank Herrmann

Es klingt unfair – ist aber doch Realität. Fast drei Millionen Amerikaner weniger stimmten für Donald Trump als für Hillary Clinton. Nur: Heute kommen die US-Wahlmänner zusammen, um den Republikan­er zum Staatschef zu küren. Doch längst nicht jeder will ihm folgen.

Washington. Chris Suprun steht unter einem immensen Druck. Der Rettungssa­nitäter aus Texas ist einer von 306 Wahlmänner­n, die eigentlich Donald Trump wählen sollten. Doch Suprun will nicht für den Immobilien­milliardär stimmen. Und das sagt er öffentlich. „Man verlangt von mir, für jemanden zu stimmen, der täglich aufs Neue beweist, dass er nicht die nötige Qualifikat­ion für das Amt besitzt“, schrieb Suprun schon vor zwei Wochen in einem Meinungsbe­itrag für die „New York Times“. Im Übrigen sei noch längst nicht beschlosse­ne Sache, dass der nächste Präsident Trump heiße. Denn laut Verfassung seien die Wahlmänner, die Elektoren, allein ihrem Gewissen verpflicht­et, argumentie­rt der Texaner. Und „Elektoren, die ihrem Gewissen folgen, können noch immer das Richtige für das Land tun“.

Es wäre ein Wunder, sollte sich der Aufstand des Chris Suprun zu einer Revolte auswachsen, die einen Präsidente­n Trump noch verhindert. Heute treffen sich überall in den USA die 538 Wahlmänner und -frauen, die darüber entscheide­n, wer im Januar ins Weiße Haus einziehen wird. Nach einer ungeschrie­benen Regel sind sie daran gebunden, wie der Souverän am 8. November abgestimmt hat. Etwa die Hälfte der Staaten hat ihre Elektoren auch de jure dazu verpflicht­et, jenem Bewerber die Stimme zu geben, der in ihrem jeweiligen Staat die Nase vorn hatte. Die anderen kennen keinen solchen Zwang, worauf Leute wie Suprun ihre Hoffnung auf einen Paukenschl­ag gründen.

Nicht von ungefähr berufen sich die Dissidente­n auf Alexander Hamilton, einen der Gründervät­er der Republik. Dessen Name ist in aller Munde, seit am New Yorker Broadway ein überaus populäres Musical, für manche das populärste aller Zeiten, seine Geschichte erzählt. Hamilton also hatte einst in den „Federalist Papers“erklärt, das Wahlmänner­kolleg sei mit Bedacht als Filter entworfen worden, damit das höchste Staatsamt „niemals an einen Mann fällt, der nicht in eminentem Maße mit den erforderli­chen Fähigkeite­n ausgestatt­et ist“.

Beim Votum vor sechs Wochen hat Trump 306 Elektoren gewonnen, während Hillary Clinton auf 232 kam. Präsident wird, wer von mindestens 270 Mitglieder­n des „Electoral College“gewählt wird. Ergo müssten 37 Wahlmänner das Lager wechseln, um Trump zu stoppen und sich entweder für Clinton oder einen dritten Kandidaten entscheide­n. Etwa für den Republikan­er John Kasich, dem zum Beispiel Suprun den Zuschlag geben wird. Sollte die Zahl der Abweichler groß genug sein, um den Bauunterne­hmer unter die 270-Marke zu bringen, müsste das Repräsenta­ntenhaus die Sache entscheide­n. Angesichts der republikan­ischen Mehrheit in der Kammer wäre der Ausgang hier klarer.

Nüchtern betrachtet, ist es wohl nur ein Sturm im Wasserglas. Das allerletzt­e Aufbäumen der NiemalsTru­mp-Bewegung, jener Republikan­er, die bereits während der Vorwahlen verzweifel­t – und mit der Zeit immer aussichtsl­oser – versucht hatten, den Kandidaten Trump aufzuhalte­n. Dass die Debatte dennoch die Gemüter erregt, hat etwas mit Clintons klarem Plus beim „Popular Vote“zu tun. Sie erhielt 2,8 Millionen Stimmen mehr als ihr Widersache­r, das ist mehr als das Fünffache des Vorsprungs, den Al Gore 2000 vor George W. Bush hatte. Bei einer Direktwahl hätte sie unangefoch­ten das Rennen gemacht. Kein Wunder, dass die enorme Diskrepanz zwischen „Popular Vote“und Elektorens­timmen einmal mehr den Ruf nach einer Reform des US-Wahlsystem­s laut werden lässt. Ein System, das der Filmemache­r Michael Moore eine „obskure, schwachsin­nige Idee aus dem 18. Jahrhunder­t“nennt. Ein System, das garantiere­n sollte, dass kleinere Staaten ihr Mitsprache­recht gegenüber den größeren wahren.

In der Praxis hat es dazu geführt, dass eine im dünn besiedelte­n Wyoming abgegebene Stimme heute 3,6 Mal stärker ins Gewicht fällt als eine in Kalifornie­n, dem bevölkerun­gsreichste­n Staat. Interessan­terweise hat es seit dem Zweiten Weltkrieg kaum eine Umfrage gegeben, in der sich die Amerikaner nicht mehrheitli­ch für den Übergang zur Direktwahl ausgesproc­hen hätten. Passiert ist nichts, weil die bevölkerun­gsärmeren Staaten nicht daran denken, eine Regelung abzusegnen, die ihren Einfluss schmälern würde. Und da sich an dieser Konstellat­ion nichts ändern wird, ist auf absehbare Zeit kaum mit Reformen zu rechnen.

 ?? FOTOS: AFP ??
FOTOS: AFP
 ??  ?? Chris Suprun
Chris Suprun

Newspapers in German

Newspapers from Germany