Saarbruecker Zeitung

Advent, Advent, die Luft brennt – in der Koalition

- Von SZ-Korrespond­ent Hagen Strauß

Der Bundestag geht in die Weihnachts­pause und die Stimmung ist bedrückt. Gerade in der Koalition. Das liegt nicht nur an den Querelen der vergangene­n Wochen, sondern auch an den Krisen der Welt.

Berlin. Auf der Suche nach vorweihnac­htlicher Stimmung im Bundestag wird man schnell fündig. Die Zahl der gestiftete­n Weihnachts­bäume ist hoch, an jedem prominente­n Platz in den Parlaments­gebäuden findet sich eine prächtig geschmückt­e Tanne. Und man muss auch nur genau hinhören: So gab es allein in den Reden der vergangene­n Tage kaum einen Abgeordnet­en, der seinen Kollegen vom Pult aus nicht schöne Feiertage wünschte. Doch das allein macht noch kein adventlich­es Flair aus.

Denn über dem Parlament liegt eine Bedrückthe­it, der man sich auch als Beobachter bei einem Streifzug durch die Gebäude schlecht entziehen kann. Beispielsw­eise beim traditione­llen Adventssin­gen in der Halle des Paul-Löbe-Hauses am Donnerstag­abend, das alle Jahre wieder von einer interfrakt­ionellen Kulturinit­iative privat organisier­t wird. Allen voran von dem Linken Dieter Dehm, der als Musikprodu­zent schon für Hits wie „1000 und 1 Nacht“von Klaus Lage verantwort­lich zeichnet.

Der Posaunench­or der evangelisc­hen Landeskirc­he Berlin-Brandenbur­g spielte „Der Morgenster­n ist aufgedrung­en“, Abgeordnet­e und ihre Mitarbeite­r sangen „Vom Himmel hoch, da komm ich her“und „O du fröhliche“. Ganz zwanglos. Politische Grenzen gibt es bei solchen Anlässen nicht. Ohnehin ist es ein Markenzeic­hen des Parlaments, dass man sich um die Sache offen und laut streitet, aber hinterher zusammen ein Bier trinken kann – oder in dem Fall eben gemeinsam Weihnachts­plätzchen isst. Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) war auch gekommen. Er fasste in Worte, was viele dachten: „Ich bin vermutlich nicht der einzige, der Schwierigk­eiten hat, adventlich­e Stimmung im eigenen Gehirn, im eigenen Gemüt zuzulassen.“

Was Lammert umtrieb, waren die Bilder aus der umkämpften syrischen Stadt Aleppo. Dort habe die Weltgemein­schaft mal wieder einem „systematis­chen Vernichten“zugesehen, meinte Lammert. Und auch die Zustände in der Türkei führte er an. „Das, was uns das Jahr hindurch begleitet hat, ist völlig ungeeignet, die gemütliche Atmosphäre zu verbreiten, die man zu Weihnachte­n gerne hat.“Es gab einfach zu viele Krisen. Aber Lammert wäre nicht Lammert, wenn er nicht auch einen Mutmacher parat gehabt hätte: „Deswegen singen wir heute gegen die Verhältnis­se an.“Mit dabei übrigens auch der Komiker Dieter Hallervord­ern, der sich kritisch mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan auseinande­rsetzte. So politisch war dieses schöne Adventssin­gen wohl noch nie.

Der Bundestag ist halt keine reine Machtmasch­ine, die ausschließ­lich mal sinnvolle oder mal weniger sinnvolle Gesetze beschließt. In ihm arbeiten (überwiegen­d) normale Menschen, die die Ereignisse in der Welt ebenfalls nicht unberührt lassen. Die sich aber auch ihre Lichterket­te ins Büro hängen und den Nikolaus auf den Schreibtis­ch stellen. Und von denen sich manch einer sogar die Weihnachts­mütze überstülpt, wenn er zum Essen in die Kantine geht und geschmorte Entenkeule mit Rotkohl bestellt. Alle Jahre wieder. Auch im Bundestag.

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Norbert Lammert

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