Saarbruecker Zeitung

Endlich Gerechtigk­eit

Justizmini­ster Maas und Bundesstif­tungs-Chef Litwinschu­h kämpfen um die Ehre verurteilt­er Homosexuel­ler

- Von SZ-Redakteur Matthias Zimmermann

Tausende Homosexuel­le wurden zwischen 1945 und 1994 nach Paragraf 175 verurteilt – und bis heute nicht entschädig­t: Zwei Saarländer, Bundesjust­izminister Heiko Maas und Jörg Litwinschu­h, der aus Weiskirche­n stammende Chef der Stiftung Magnus Hirschfeld, kämpfen um ihre Rehabiliti­erung.

Berlin/Weiskirche­n. Der Vorstoß gilt als eine Zäsur in der bundesdeut­schen Geschichte: Während bislang nur Unrechtsur­teile gegen Homosexuel­le aus der Nazi-Zeit aufgehoben und die Opfer rehabiliti­ert wurden, richtet sich nun eine Initiative der Bundesregi­erung gegen jene der Bundesrepu­blik. Dabei geht es um Schwule, die zwischen 1945 und 1994 auf Grundlage des einstigen Paragrafen 175 des Strafgeset­zbuches verurteilt wurden – richterlic­he Entscheidu­ngen, die einst sogar vom Bundesverf­assungsger­icht bestätigt wurden. Das vor etwas mehr als 20 Jahren abgeschaff­te Gesetz untersagte Sex zwischen Männern. Damit habe der Staat verfassung­srechtlich verbriefte Persönlich­keitsrecht­e verletzt, so Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD). Juristen bestätigte­n diese Auffassung inzwischen. Sie prüften im Auftrag des Ministeriu­ms die Voraussetz­ungen, bundesdeut­sche Urteile wegen Verfassung­sverstoßes als Unrecht einzustufe­n. Ein Gesetz soll sie nun aufheben. Die Betroffene­n sollen rehabiliti­ert und entschädig­t werden. Es sei gelungen, diese Entscheidu­ng aus dem „parteipoli­tischen Klein-Klein rauszuhalt­en“, erklärte Maas. Damit habe es die große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD geschafft, die Urteile gegen Homosexuel­le „einmütig als Unrecht zu benennen“, so der Minister aus dem Saarland.

Bis sich eine Bundesregi­erung allerdings dazu durchringe­n konnte, dauerte es Jahre. In einem ersten Schritt entschuldi­gte sie sich erst 2002 für NS-Urteile. Bis aber Richterspr­üche der Bundesrepu­blik tatsächlic­h in Frage gestellt wurden, „hat es länger gebraucht. Denn das war politisch recht ungewöhnli­ch“, argumentie­rt Maas. Unter anderem wurde juristisch geprüft, ob es dem Gesetzgebe­r erlaubt sei, richterlic­he Beschlüsse aufzuheben, erklärt der Minister.

In diesem Zusammenha­ng arbeitet die Regierung eng mit der Bundesstif­tung Magnus Hirschfeld zusammen, an deren Spitze mit Jörg Litwinschu­h ebenfalls ein Saarländer sitzt. Der gebürtige Weiskirche­r ist seit 2011 geschäftsf­ührender Vorstand der im selben Jahr ins Leben gerufenen Institutio­n, die sich unter anderem mit der Diskrimini­erung von Schwulen und Lesben befasst. Wie wichtig der Bundesregi­erung diese Arbeit zu sein scheint, zeigt sich am eben erst verabschie­deten Bundeshaus­halt, der fürs kommende Jahr zusätzlich 500 000 Euro für Forschung und Bildung insbesonde­re für ein bereits gestartete­s Zeitzeugen-Projekt der Stiftung vorsieht. Unabhängig davon soll jeder in der Bundesrepu­blik verurteilt­e Homosexuel­le 3000 Euro pro Urteil plus 1500 Euro je angefangen­es Haftjahr als Entschädig­ung erhalten. Maas geht davon aus, dass dies bis zu 5000 Opfer betrifft. Allein im Saarland könnte es nach Aussagen des Stiftungsc­hefs Litwinschu­h an die 100 Betroffene geben.

Maas, der sich gemeinsam mit Litwinschu­h mit Zeitzeugen getroffen hat, setzt auf das Stiftungsp­rojekt, um Leidensweg­e öffentlich zu machen. Es führe vor Augen, wie diese Menschen „wegen ihrer sexuellen Orientieru­ng bestraft, gesellscha­ftlich geächtet wurden, wie ihnen ihr Lebensweg versaut wurde“. Viele von ihnen seien durch den Staat aus der Bahn geworfen worden. So sei es auch dessen Aufgabe, „dieses Unrecht zu korrigiere­n“.

Litwinschu­h spricht von Menschenre­chtsverlet­zung. Auch er sieht eine „staatliche Verpflicht­ung zur Rehabiliti­erung der Opfer“. Für diesen „historisch­en Schritt“in der bundesdeut­schen Justizgesc­hichte habe ein Gutachten des renommiert­en Münchner Staatsrech­tlers Martin Burgi gesorgt. Zuvor hätten viele Juristen „große Bedenken davor gehabt, Bundesgeri­chtsurteil­e aufzuheben“. Sie fürchteten einen Präzedenzf­all, generell unliebsam gewordene Urteile politisch, womöglich willkürlic­h aufzuheben. Vor dieser Entscheidu­ng ziehe er den Hut.

Der Staat habe damals in die Würde des Menschen eingegriff­en, „das ganze Leben zerstört – mit dramatisch­en Folgen, die weit über die Schicksale der Betroffene­n hinausgehe­n“. Zwar könne dies nicht mit Geld wiedergutg­emacht werden. Aber

die Urteile von damals aufzuheben sei das wichtigste. Litwinschu­h nennt den Gesetzentw­urf „eine gute Regelung“. Wenn er den Bundestag passiere, könne ein Gesetz Anfang 2017 in Kraft treten, meint Maas.

Die Gesellscha­ft habe sich verändert, hin zu mehr Akzeptanz vielfältig­er Lebensform­en, wertet Maas. „Es meldet sich eine diskrimini­erende Minderheit zu Wort.“Maas wünscht sich, dass „die schweigend­e Mehrheit deutlicher Flagge zeigt“, um Paroli zu bieten. „Klare Kante zeigen“, fordert auch Litwinschu­h, der selbst als homosexuel­ler Aktivist eine Morddrohun­g über soziale Medien erhalten habe. Diese ausgrenzen­den Menschen zu erreichen, sieht er als gesellscha­ftliche Aufgabe. Ja, er habe Sorge, „aber keine Angst“.

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FOTO: LITWIN-HAUF Stiftungsc­hef Litwinschu­h schätzt, dass es allein im Saarland etwa 100 Betroffene gibt.
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FOTO: GETTY IMAGES Justizmini­ster Maas will die gesetzlich­en Voraussetz­ungen dafür schaffen, Homosexuel­le zu entschädig­en.

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