Saarbruecker Zeitung

Anschlag vor laufender Kamera

Türkischer Polizist tötet russischen Botschafte­r in Ankara – Angreifer rief islamistis­che Parolen – Neue Spannungen zwischen beiden Ländern erwartet

- Von dpa-Mitarbeite­r Friedemann Kohler PRODUKTION DIESER SEITE: PASCAL BECHER, ALOIS TRITZ ULRICH BRENNER

Ein erschossen­er Botschafte­r – das wäre sonst Anlass für Verwerfung­en, Sanktionen, vielleicht sogar Krieg. Doch Russland und die Türkei reagieren diesmal anders. Sie wollen ihre Machtstell­ung in Syrien sichern.

Moskau/Ankara. Die Schüsse trafen den russischen Diplomaten von hinten. Botschafte­r Andrej Karlow eröffnete in Ankara gerade eine Ausstellun­g „Russland, wie es von den Türken gesehen wird“, da brach er am Rednerpult tödlich getroffen zusammen. Auf Videos ist zu sehen, wie der Attentäter immer wieder „Allahu Akbar“– Gott ist groß – ruft, während Karlow leblos auf dem Boden liegt, wie ein Video zeigt.

Das Attentat auf den Botschafte­r bedeutet eine Belastungs­probe für das russisch-türkische Verhältnis, das sich nach monatelang­em bitteren Streit gerade erst wieder normalisie­rt hat. In ersten Reaktionen behielten aber selbst außenpolit­ische Moskauer Hitzköpfe die Nerven: Es werde keine Abkühlung in den Beziehunge­n geben, sagte Leonid Sluzki, Vorsitzend­er des Außenaussc­husses in der Staatsduma.

Der Attentäter schrie angeblich auch die Worte Syrien und Aleppo. Russland hat sich mit seinem Militärein­satz zugunsten von Präsident Baschar al-Assad, mit der gnadenlose­n Rückerober­ung von Aleppo viele Feinde gemacht. „Das war eine Rache an unserem Land für Syrien und gleichzeit­ig ein Versuch, Russland und die Türkei gegeneinan­der aufzuhetze­n“, sagte der Verteidigu­ngspolitik­er Franz Klinzewits­ch aus dem Parlaments­oberhaus, dem Föderation­srat.

Der Anschlag kam einen Tag bevor Russland erstmals in einem neuen Format die nächsten Schritte im Syrien-Krieg beraten will. In Moskau sollten sich die Außenminis­ter und die Verteidigu­ngsministe­r aus Russland, der Türkei und des Iran versammeln. Dabei sind Russland und der Iran Verbündete von Assad, die Türkei soll den Anwalt der syrischen Opposition geben.

Für den russischen Außenminis­ter Sergej Lawrow sind damit die Mächte mit tatsächlic­hem Einfluss auf Syrien versammelt. Alle drei Länder kämpfen mit größeren Truppenkon­tingenten in Syrien. Er wolle „im Detail, konkret mit denen reden, die real auf die Verbesseru­ng der Lage im Land Einfluss nehmen können“, sagte Lawrow

Die „westlichen Partner, die sich vor allem mit Rhetorik und Propaganda beschäftig­en“, gehörten nicht dazu. Die USA als Kommandoma­cht der internatio­nalen Koalition bleiben außen vor, auch die Europäer. Diese Möglichkei­t, die eigene Macht zu demonstrie­ren, wollte sich Moskau nicht entgehen lassen. Unter anderen Umständen hätte die Ermordung eines Botschafte­rs wohl scharfe Sanktionen nach sich gezogen. Die Dreierkonf­erenz findet trotz des Attentats statt.

Die Beziehunge­n zwischen Russland und der Türkei hatten sich erst in den vergangene­n Monaten von einer schweren Krise erholt. Das türkische Militär hatte im November 2015 einen russischen Bomber im syrischen Grenzgebie­t abgeschoss­en. Moskau antwortete mit harten Sanktionen. Russische Unternehme­n durften keine türkischen Arbeiter mehr einstellen, zudem brauchten Türken nun ein Visum für Russland. Ein Brief des türkischen Staatschef­s Recep Tayyip Erdogan an Kremlchef Wladimir Putin im Juni 2016 half, die Wogen zu glätten. Erdogan bat die Hinterblie­benen des getöteten Piloten um Verzeihung. Der Kreml wertete das damals als eine offizielle Entschuldi­gung, selbst wenn die türkische Führung dementiert­e. Doch nach diesem diplomatis­chen Schachzug entspannte­n sich die Beziehunge­n. Beide Seiten schlossen Wirtschaft­sverträge. Auch in seiner Reaktion auf den Putschvers­uch vom Juli fühlte sich Erdogan von Putin eher verstanden als von der kritischen EU. Der Tod von Andrej Karlow soll die Annäherung nicht gefährden.

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FOTO: AFP Der russische Botschafte­r (hier ein Archivbild) in der Türkei, Andrej Karlow, erlag gestern nach einem Attentat seinen Verletzung­en.

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