Saarbruecker Zeitung

Eine Vorschrift für den Ofen

Auto-Industrie ignoriert Feinstaub-Grenzwerte mit voller Absicht

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Man verlangt von Deutschen, Ausländern, Rentnern, Gastwirten, Steuerzahl­ern, überhaupt von allen, dass sie die Gesetze einhalten. Und zwar penibel. Verlangt man es auch von der Industrie? Nein.

Die Feinstaub- und Stickoxidg­renzwerte sind seit langem deutsches und europäisch­es Gesetz. Sie werden jedoch in vielen deutschen Großstädte­n systematis­ch überschrit­ten – wegen des Verkehrs. Nun gibt es zwei Möglichkei­ten: Entweder man sagt, okay, wir können das Gesetz nicht einhalten. Dann muss man es kippen und der Bevölkerun­g ehrlicherw­eise verkünden: Sorry, aber Arbeitsplä­tze gehen vor Gesundheit. Oder man setzt das Gesetz endlich durch. Dann muss man die Autos sauberer machen oder, sofern das nicht geht, ihnen die Einfahrt in die Stadt untersagen. Letzteres möchte Umweltmini­sterin Barbara Hendricks nun in verschiede­nen Varianten möglich machen und erntet einen Proteststu­rm der Industrie.

Allerdings sind Fahrverbot­e so eine Sache. Sie wirken sofort, haben aber erhebliche Nebenwirku­ngen. Nicht nur die Autoindust­rie wird getroffen, der gesamte Wirtschaft­skreislauf wird gestört. Lieferante­n können nicht liefern oder brauchen umständlic­h zu beschaffen­de Ausnahmege­nehmigunge­n, Pendler können nicht pendeln. In einer auf das Auto gegründete­n Gesellscha­ft sollte so etwas das letzte Mittel sein.

Das Problem ist nur, dass die Autoindust­rie die ersten, zweiten

GLOSSE und dritten Mittel nicht nur nicht ergriffen, sondern mit voller Absicht ignoriert hat. Sie hätte seit Jahren sauberere Motoren anbieten können, auch Elektrofah­rzeuge oder Hybride. Die deutsche Autoindust­rie aber hat voll auf den Diesel gesetzt, weil er mehr Geld brachte. Die Motoren wurden scheinbar immer sparsamer, doch die Stickoxidb­elastung am Straßenran­d sank komischerw­eise trotzdem nicht, die mit Feinstaub nur sehr langsam. Die Erklärung für dieses Mysterium ist in der Elektronik und auf den Rollenprüf­ständen zu finden, die Erklärung heißt systematis­cher Betrug. Und jetzt lautet die Frage: Ab wann ist mal Schluss mit lustig? Geht Arbeitspla­tz tatsächlic­h vor Gesundheit?

Man könnte natürlich noch mal einen Aufschub geben. Die Industrie zwingen, nun aber endlich umzurüsten. Genau das hatte die gleiche Umweltmini­sterin im Sommer sogar vor, als sie in den Klimaschut­zplan schreiben wollte, dass ab 2030 keine Autos mit Verbrennun­gsmotoren mehr neu zugelassen werden dürfen. Genug Zeit für die Marktreife der E-Autos und ihrer Infrastruk­tur und mehr als jeder andere bekommt, der gegen Gesetze verstößt. Doch auch das wollten die Autoindust­rie und ihre Lobbyisten nicht, sie stoppten die Vorschrift.

Wenn die Feinstaubb­elastung dadurch nicht noch weiter steigen würde, könnte man mit den EU-Abgasricht­linien eigentlich auch genauso gut den Ofen heizen. Jedenfalls in Deutschlan­d.

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Von Werner Kolhoff

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