Saarbruecker Zeitung

„Vor 25 Jahren war die Lage weit stabiler“

Interview mit Rolf Bolwin vom Deutschen Bühnenvere­in

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Theater in Deutschlan­d haben es nicht leicht. Kommunen setzen den Rotstift an, manches Stadtoberh­aupt stellt die Existenzbe­rechtigung der Bühnen sogar ganz in Frage. Rolf Bolwin ist eine der wortgewalt­igsten Stimmen der deutschen Staatsund Stadttheat­er. 25 Jahre war er der Geschäftsf­ührer des Deutschen Bühnenvere­ins. Zum 1. Januar gibt er das Amt ab, Nachfolger wird der bisherige Geschäftsf­ührer der Kulturpoli­tischen Gesellscha­ft, Marc Grandmonta­gne. Dpa-Mitarbeite­rin Dorothea Hülsmeier hat mit Bolwin gesprochen.

Wo standen die Staats- und Stadttheat­er bei Ihrem Amtsantrit­t – wie ist die Lage heute? Bolwin: Ich glaube, die Lage war vor 25 Jahren weit stabiler. Ich habe mir bei meinem Amtsantrit­t nie vorstellen können, dass wir so viel Krisen-Management in diesen 25 Jahren machen müssen. Das hatte einerseits mit der Wiedervere­inigung zu tun. Zum anderen haben die finanziell­en Herausford­erungen für die öffentlich­e Hand erheblich zugenommen. Das macht es heutzutage viel notwendige­r, als es die Theater und Orchester gewöhnt waren, sich Legitimati­onsdebatte­n zu stellen. Ich finde aber, wenn Institutio­nen öffentlich­es Geld bekommen, dann müssen sie auch erklären, warum sie das bekommen.

Wie geht es mit den Theatern weiter? Bolwin: Interessan­terweise sind wir heute wieder auf einem besseren Weg, weil die Politik zunehmend erkennt, dass es ohne Kultureinr­ichtungen überhaupt nicht geht und dass man diese Räume braucht, in denen man sich Fragen der Gesellscha­ft stellt.

Wie kommen Sie darauf, dass man heute auf einem besseren Weg ist, wenn die Kommunen sparen müssen und Theater besonders unter Druck geraten? Bolwin: Man muss sehen, was alles gebaut wird: Die Staatsoper in Berlin wird für mehrere hundert Millionen Euro renoviert. Ähnliches passiert auch in Köln, Frankfurt und Augsburg. Da kann man nicht sagen, die Städte stellten die Bühnen in Frage. Es gibt aber an einzelnen Standorten Probleme. Natürlich hat es in den 25 Jahren auch die ein oder andere Fusion und Schließung, etwa des Schiller-Theaters in Berlin, gegeben. Aber im Großen und Ganzen ist es uns gelungen,

Rolf Bolwin, der scheidende Vorsitzend­e des Deutschen Bühnenvere­ins.

die Theater- und Orchesterl­andschaft in der bisherigen Form zu erhalten.

Das Publikum ist ja oft eher im fortgeschr­ittenen Alter. Viele Theater haben schlechte Auslastung­en. Ist das noch zeitgemäß? Wir sind mittendrin in der Legitimati­onsdebatte. Bolwin: Rund 39 Millionen Zuschauer bundesweit sind keine schlechte Zahl in einer Spielzeit. Das zeigt, dass es ein großes Interesse gibt, im Übrigen auch bei jungen Leuten, selbst wenn nicht jedes Theater immer bis zum letzten Platz voll ist. Es zeigt zudem, dass wir auch mit dem Angebot auf hohe Akzeptanz stoßen. Ich finde nicht, dass das nicht mehr zeitgemäß ist. Man muss deutlich sagen: Wir sind eines der größten Theater- und Musiklände­r der Welt und sollten das nicht immer kleinreden.

Haben die Intendante­n zu viel Macht? Zuletzt ist Kritik an Herrschern über die Bühnen laut geworden, etwa in Berlin oder München. Bolwin: Da wird viel geäußert, was den Tatsachen nicht entspricht. Es gibt gar kein Haus mehr, in dem der Intendant der Alleinherr­scher ist. Nach außen handeln immer der Intendant und der Verwaltung­sdirektor. Letzterer hat stets die Möglichkei­t, bestimmte Vorgänge aufzuhalte­n, etwa wenn das Geld fehlt. Ihm sind auch bestimmte Teile des Personals unterstell­t. Der künstleris­che Prozess ist ein wechselsei­tiges Ringen aller Beteiligte­n um eine erfolgreic­he Produktion. Das ist nicht immer einfach und zuweilen emotional. Außerdem haben Personal- und Betriebsrä­te in vielen Zusammenhä­ngen auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Warum müssen Schauspiel­er und Sänger und Tänzer bei jedem Intendante­nwechsel gekündigt werden? Und der neue bringt dann seine Leute mit? Bolwin: Die werden nicht gekündigt, sondern die Künstler haben alle befristete Verträge. Und das muss so sein, weil die Möglichkei­t bestehen muss, die künstleris­che Ausrichtun­g eines Hauses bei einem Intendante­nwechsel zu ändern. Dafür braucht man neue Künstler. Das ist ein normaler Vorgang, der in anderen Ländern um ein Vielfaches extremer ist. In Frankreich oder Italien etwa wird man nur von Projekt zu Projekt engagiert. Ein Schauspiel­er bekommt einen Vertrag nur für eine Inszenieru­ng. Wenn die in wenigen Wochen abgespielt ist, ist er arbeitslos.

Aber Stabilität im Beruf haben Schauspiel­er doch verdient. Bolwin: Deswegen gibt es ja den Ensemble- und Repertoire-Betrieb bei uns, und ich verteidige ihn immer wieder, nicht zuletzt unter sozialen Gesichtspu­nkten. Ein anderes Modell, das noch mehr Stabilität bietet, gibt es nicht.

Die Mindestgag­e für Schauspiel­er wird auf 1850 Euro erhöht. Sind die Löhne für Schauspiel­er fair? Bolwin: Die durchschni­ttliche Gage bei Schauspiel­ern liegt bei brutto 2800 Euro. Wir sind mit diesen Gehältern in einem Bereich unterwegs, in dem vergleichb­are Berufe nicht mehr und nicht weniger verdienen. Es ist aber richtig, dass Initiative­n wie „art but fair“und „Ensemble Netzwerk“sich für die Künstler engagieren. Denn an vielen Stellen, wo Geld gespart wurde, ging es auf Kosten des künstleris­chen Personals. Jede Kürzung schlägt durch auf die Arbeitsver­hältnisse – als Kürzung von Gehältern oder sogar als Verlust des Arbeitspla­tzes. Aber ich warne davor, den Eindruck zu erwecken, als würde da jeder am Hungertuch nagen. Das ist nicht der Fall.

Was ist das erste Stück, das Sie nach Ihrem Abschied vom Bühnenvere­in sehen wollen? Bolwin: Ich habe für Januar im Stadttheat­er Bonn Karten bestellt für den „Theatermac­her“von Thomas Bernhard. Einer der Gründe, warum ich aus dem Hamsterrad des Bühnenvere­ins herauswoll­te, war, dass ich immer weniger Zeit hatte, ins Theater zu gehen. Am 13. Januar gehe ich zum ersten Mal in die Elbphilhar­monie.

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