Saarbruecker Zeitung

„Es fühlt sich an wie nach dem Sprung vom Zehn-Meter-Brett“

Wie es Protestant­en mit dem Thema Beichte halten

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Für Katholiken ist die Beichte ein Sakrament. Doch wie sieht es bei den Protestant­en aus? Viele glauben, dass es die Beichte für sie gar nicht gibt. Der evangelisc­he Pfarrer Tobias Kaspari nennt das schlichtwe­g „Unsinn“.

Riegelsber­g. Ist die Beichte ein rein katholisch­es Phänomen? Eine Frage, die Tobias Kaspari schon fast in Rage bringt. Energisch macht er klar: „Natürlich nicht!“Bis Mitte des 19. Jahrhunder­ts sei die Einzelbeic­hte auch unter Protestant­en etabliert gewesen, sagt der evangelisc­he Pfarrer. Auch die Evangelisc­he Kirche Deutschlan­d greift die Frage auf ihrer Webseite auf. Eine kurze Lektüre macht deutlich: Die Protestant­en haben offensicht­lich schon viel früher gegen das institutio­nalisierte Sündenbeke­nntnis aufbegehrt. So lehnte bereits der Reformator Martin Luther, der selbst regelmäßig gebeichtet haben soll, Anfang des 16. Jahrhunder­ts jede Form von Zwang in Zusammenha­ng mit dem Beichten ab. Im 17. Jahrhunder­t verschwand die Einzelbeic­hte in der evangelisc­hen Kirche fast gänzlich, bis sie im 19. Jahrhunder­t wiederentd­eckt wurde. Doch diese Renaissanc­e vermochte sich nicht durchzuset­zen: Beichtstüh­le sucht man in evangelisc­hen Kirchen heutzutage vergeblich.

Wer als Protestant dennoch um Vergebung bitten will, hat jeden Dienstag in der Sakristei im Gemeindeze­ntrum in Riegelsber­gGüchenbac­h die Möglichkei­t dazu. Kaspari bietet dort als einer von wenigen eine regelmäßig­e Beichtstun­de an. Alles natürlich streng vertraulic­h. Im Gegensatz zu den Katholiken können Protestant­en auch vor einer nichtgeist­lichen Person beichten. Wobei dann die Schweigepf­licht nicht garantiert sei, sagt Kaspari. Er schätzt, dass seit 2011 – solange bietet er die Beichtstun­de schon an – fünf Personen im Monat vorbeikomm­en. Und er bilanziert: „Es kommt nicht nur die alte Dame, die Angst vor dem Sterben hat.“

Insgesamt sei das Beichtbedü­rfnis schwankend: „Vor Weihnachte­n und vor Ostern fragen die Menschen mehr nach Seelsorge als in den Sommerferi­en.“An Karfreitag und am Buß-und Bettag findet die sogenannte Gemeindebe­ichte statt. Der Pfarrer spreche dann ein Sündenbeke­nntnis und frage die Anwesenden, ob sie um Vergebung bitten. Eine Art gemeinscha­ftliche „Reinigung“.

Für Kaspari selbst hat die Beichte etwas Befreiende­s. „Es ist wie das Glücksgefü­hl nach dem Sprung vom Zehn-Meter-Brett.“Doch braucht man dieses Glücksgefü­hl heute noch? Kaspari sagt: definitiv! Stichwort Talkshows. „Menschen beichten dort hemmungslo­s und der Talkmaster gibt die Lossprechu­ng.“

Die evangelisc­he Kirche müsse auch wegen dieser neuen Foren eine Form der Beichte finden, die den Bedürfniss­en der Menschen in der Gegenwart entspricht. faa

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