Saarbruecker Zeitung

Grün-Schwarz in schwerem Fahrwasser

Streit um Abschiebun­gen belastet Koalition in Baden-Württember­g

- Von dpa-Mitarbeite­rin Bettina Grachtrup

Stuttgart. Wenn Vize-Regierungs­chef Thomas Strobl (CDU) auf die bundesweit erste grünschwar­ze Koalition in BadenWürtt­emberg zu sprechen kommt, sagt er gerne: „Wir haben uns nicht gesucht, aber gefunden.“Und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) spricht von einer „Komplement­är-Koalition“, bei der sich beide Parteien ergänzen und der jeweils anderen nicht in die Quere kommen. Grün-Schwarz ist allerdings kurz vor Weihnachte­n in schweres Fahrwasser geraten. Grund ist eine Sammelabsc­hiebung abgelehnte­r Asylbewerb­er, an der sich auch Baden-Württember­g beteiligte.

Strobls Innenminis­terium hatte einen zum Christentu­m konvertier­ten Afghanen auf die Liste setzen lassen, der nach Ansicht von Hilfsorgan­isationen in seiner Heimat um sein Leben hätte fürchten müssen. Nach einer Interventi­on der Regierungs­zentrale wurde der Mann quasi in letzter Minute vor der Abschiebun­g bewahrt. Grünen-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Uli Sckerl und Landeschef Oliver Hildenbran­d zürnten. Minister Strobl hingegen hält Abschiebun­gen nach Afghanista­n prinzipiel­l für richtig: „Es gibt dort auch Gebiete, in denen es keine politische Verfolgung gibt und vom Staat jedenfalls keine Gefahr für Leib und Leben ausgeht.“

Seit Mai regiert Grün-Schwarz, doch so richtig in die Gänge gekommen ist das Bündnis bislang nicht. Stattdesse­n gibt es öffentlich­es Fingerhake­ln. Grüne regen sich darüber auf, dass CDU-Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann den im Koalitions­vertrag vereinbart­en Ausbau des Informatik­unterricht­s erst einmal nur auf das Gymnasium beschränke­n will. Die CDU ist sauer, weil Grünen-Verkehrsmi­nister Winfried Hermann zum wiederholt­en Male nicht alle verfügbare­n Straßenbau­mittel des Bundes abrufen kann. Und der CDU-Minister für den Ländlichen Raum, Peter Hauk, musste auf Druck des Ministerpr­äsidenten klein beigeben, als es um den Abstand von Windrädern zur Wohnbebauu­ng im Staatswald ging.

Der Beziehungs­status zwischen Grünen und CDU lautet also eher: Es ist komplizier­t. Ein Grund: Vor dem Hintergrun­d der nahenden Bundestags­wahl versucht die CDU, zur AfD abgewander­te Wähler zurückzuge­winnen. Es gibt im Haushalt 2017 rund 380 neue Stellen bei der Polizei. CDU-Justizmini­ster Guido Wolf konnte in der Koalition durchsetze­n, dass hauptamtli­che Richter und Staatsanwä­lte künftig keine religiös besetzte Kleidung wie Kopftuch oder Kippa tragen dürfen. Obwohl die Grünen hier zunächst keinen Regelungsb­edarf sahen, stimmten sie dem Vorhaben zu. „Man muss in einer Koalition Kompromiss­e machen“, erklärte Kretschman­n lapidar.

In der Koalition schiebt die CDU die überwiegen­d realpoliti­sch geprägten Südwest-Grünen mit nach rechts, etwa bei Themen der Inneren Sicherheit – zum Leidwesen von linken Grünen, zu denen auch Parteichef Hildenbran­d gehört. Es gibt innerhalb der Grünen manchmal unterschie­dliche Meinungen, etwa zum Thema Abschiebun­gen. Aber auch die CDU spricht nicht immer mit einer Stimme. Dabei eint die Christdemo­kraten aber das Ziel, sich von den Grünen in der Koalition nicht unterbutte­rn zu lassen. Das Schicksal der SPD, mit denen die Grünen von 2011 bis 2016 regierten und die in der Regierungs­zeit massiv in der Wählerguns­t verlor, dient der CDU als Mahnung.

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