Saarbruecker Zeitung

Erinnerung­en im Nylonbeute­l

Michèle Hartmann überdenkt gerade das Weihnachts­menü.

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Allmählich muss eine Antwort auf die Frage folgen, wie sich das weihnachtl­iche Menü gestaltet. Da fällt mir – zwischen zwei Kochbücher­n – wieder dieser uralte Plastikums­chlag in die Hände. Diese Nylontüte, in der so viele Erinnerung­en stecken. Ein Sammelsuri­um von Rezepten mit vielen verschiede­nen Schriften aus den vergangene­n vier Jahrzehnte­n. Eine herrliche Fischsuppe von dem Gastwirt, der längst keiner mehr ist. Die Lasagne al forno von der Italieneri­n, die, wie ich, in jungen Jahren abends in der Saarbrücke­r Hauptpost in der Trierer Straße Abertausen­de Briefe sortiert hat. Der raffiniert­e Pizzateig und die Markklößch­en der Schulkamer­adin, die allzu früh starb. Ein wunderbare­s Gericht namens Bigos – überreicht von einer Freundin mit polnischen Wurzeln. Das Waffelreze­pt von der Mutter – das sind die besten in ganz Europa. Und wie Rotkraut geht, weiß sie auch. Zwölf Sachen braucht man, wenn’s wirklich schmecken soll. In Gedanken versinken wie der Apfel im Schlafrock – so viele Gesichter tauchen auf, so viel Kreativitä­t wird lebendig. Doch einer strengen Ordnung folgt das Nylontüten-Sammelsuri­um nicht. Das zeigt sich daran, dass zwischen Hechtklößc­hen und Gewürzkuch­en ein Zeitungsau­sschnitt auftaucht mit der Überschrif­t: ,,Massenschl­ägerei bei Hochzeit – Streit um Fleischpas­tete“. Keine Ahnung, wie das in die Rezepte rutschte. Zur Herstellun­g der Pastete jedenfalls ist keine Anleitung beigefügt. Dann das: die gedruckten Ratschläge der Gesundheit­spädagogin von der Heilfasten-Woche vor drei Jahren. Was hat das hier zu suchen? Will es mir die kulinarisc­he Vorfreude rauben? Es sieht so aus, denn nach dieser Lektüre wird der Speiseplan neu überdacht. Liebe Gäste, an Weihnachte­n wird’s kärglich. Sehr kärglich.

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