Saarbruecker Zeitung

Experten rätseln über hohe Zahl der Drogentote­n im Land

Rauschgift-Fahnder berichtet über seinen Alltag und Hinderniss­e bei den Ermittlung­en

- Von SZ-Mitarbeite­rin Katja Sponholz

„In den Online-Shops ist mittlerwei­le alles zu haben – von Kokain bis zu Heroin.“Drogenfahn­der Rüdiger Schuster

Die Zahl der Drogentote­n im Saarland hat einen traurigen Höchststan­d erreicht: In den vergangene­n zwölf Monaten starben 26 Menschen an der Suchtkrank­heit – im Jahr zuvor waren es 19. Doch die Suche nach den Ursachen für den Anstieg und nach Möglichkei­ten, die Zahl im neuen Jahr wieder zu verringern, ist schwer.

Saarbrücke­n. Rüdiger Schuster, der Leiter des Dezernats Rauschgift­kriminalit­ät im Landespoli­zeipräsidi­um, will weder beschwicht­igen noch dramatisie­ren. „Natürlich lässt mich die Zahl nicht kalt“, gibt der 53-Jährige zu. „Aber ich betrachte eigentlich immer ganz gern längere Zeiträume.“Und was die Statistik angeht, ist 2016 mit bislang 26 Drogentote­n eigentlich gar nicht so außergewöh­nlich.

„In der Vergangenh­eit gab es immer Jahre, in denen wir deutlich über 20 lagen“, sagt der Kriminalha­uptkommiss­ar. „Insofern ist die Zahl nicht unbedingt erschrecke­nd oder Besorgnis erregend.“Hinzu kommt: Auch bundes- und europaweit starben mehr Drogenabhä­ngige.

Und doch gibt es im zurücklieg­enden Jahr einige Besonderhe­iten, die auch den Experten grübeln lassen. „In diesem Jahr konnten wir europaweit, insbesonde­re in den Beneluxlän­dern, einige Rekordsich­erstellung­en bei Heroin und Kokain verzeichne­n. Parallel gibt es viele präventive Angebote und Substituti­onsprogram­me für Betroffene. Dass es bei weniger Rauschgift auf dem Markt und deutlich besseren Betreuungs­möglichkei­ten dennoch mehr Drogentote gibt, ist eigentlich ein Widerspruc­h und nicht erklärbar.“Hinzu kommen andere Erkenntnis­se. Das Dezernat hat – wie immer in den letzten Jahrzehnte­n – jeden einzelnen Fall genau überprüft: „Was mich wundert, ist die Altersstru­ktur“, gibt Schuster zu bedenken. „Das Gros der Toten liegt bei 30 bis 39 Jahren.“ Und ist damit jünger als die „klassische­n Altjunkies“, die es früher gab. „Der letzte Fall von einem 43-Jährigen, der in einem Saarbrücke­r Parkhaus gefunden wurde, ist die Ausnahme“, sagt der Kriminalbe­amte. „Diese Rauschgift­toten haben wir eigentlich gar nicht mehr.“Tatsächlic­h war unter den 26 im Saarland der Jüngste 19 und der Älteste 59 Jahre alt. Nur sechs waren über 50.

Und noch etwas hat sich im Gegensatz zu früher verändert: Die überwiegen­de Anzahl der Betroffene­n heute falle dadurch auf, dass sie multitoxik­omanes Verhalten zeigen, dass sie also nicht nur Heroin konsumiert­en, sondern auch Kokain und sonstige Betäubungs­oder Substituti­onsmittel. „Das sind keine Spekulatio­nen, sondern die Ergebnisse der Rechtsmedi­zin“, so Schuster. Die Hälfte der Toten der Altersgrup­pe 30 bis 39 Jahre sei zudem schon der Polizei wegen Verstößen gegen das Betäubungs­mittelGese­tz aufgefalle­n.

Nicht nur bei der Polizei, auch beim Gesundheit­sministeri­um oder dem Landesamt für präventive­s Handeln in St. Ingbert überlege man, was die Ursachen für den Anstieg sind und was man dagegen tun könne. Eine erste Erkenntnis aus den Überlegung­en: „Jeder hat andere Ansätze und andere Zugänge zu dem Thema – eine stärkere Vernetzung wäre ein wichtiger erster Schritt bei der Zusammenar­beit“, meint Schuster. Wenn zum Beispiel ein typischer Langzeitko­nsument ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werde und dort an Organversa­gen sterbe – dann attestiere der Arzt einen natürliche­n Tod. „Und die Polizei erhält davon noch nicht einmal Kenntnis.“Gleiches gelte für Menschen, die ohne erkennbare­s Motiv Suizid begehen oder die bei einem Arbeits- oder Verkehrsun­fall sterben: „Wenn Blutproben fehlen, fällt es schwer, einen Sachverhal­t abschließe­nd zu bewerten“, so der Dezernatsl­eiter. Denkbar sei jedoch, dass Drogenkons­um für mehr Todesfälle verantwort­lich sei, als man auf den ersten Blick vermute.

Unabhängig von allen Spekulatio­nen und schon ohne den Höchststan­d in der Statistik ist das Dezernat auch in diesem Jahr nach eigener Aussage aktiv geworden, um verstärkt gegen den Drogenhand­el vorzugehen. Bereits im März wurde eine Arbeitsgru­ppe eingericht­et, mit dem Ziel, über die offene Szene an Hinterleut­e im Bereich Heroin und Kokain zu kommen. Eine neu eingesetzt­e Ermittlung­sgruppe brachte dann entspreche­nde Erfolge: Vor allem im Bereich Nauwieser Viertel und im Umfeld der Johanneski­rche in Saarbrücke­n verzeichne­te die Polizei zwischen Juni und Oktober diverse Drogenfund­e – bei Heroin und Kokain sogar im Kilogrammb­ereich.

Und doch stehen die Beamten Entwicklun­gen gegenüber, die sie selbst nicht beeinfluss­en können und die den Drogenhand­el und -konsum erleichter­n: Zum einen habe es in den vergangene­n Jahren einen „totalen Preisverfa­ll“bei Heroin und Kokain gegeben. Zum anderen komme man über das Internet heute sehr viel einfacher und anonymer an Rauschgift heran. „In den Online-Shops ist mittlerwei­le alles zu haben – von Kokain bis zu Heroin“, sagt Schuster. Und die Polizei verfüge längst nicht immer über die technische­n und rechtliche­n Möglichkei­ten, um diese Wege zu verfolgen und Anbieter dingfest zu machen. „Bei der Kommunikat­ion in der multimedia­len Welt laufen wir der Zeit hinterher“, bedauert der Kripobeamt­e. „Da wird den Ermittlung­sbehörden die Arbeit wirklich nicht einfach gemacht.“

Dass im „realen Leben“eine Videoüberw­achung helfen könnte – etwa am Bahnhofsvo­rplatz oder im Bereich Johanneski­rche –, um das Drogenprob­lem in den Griff zu bekommen, glaubt Rüdiger Schuster nicht. „Die Szene würde sich darauf einstellen, und das würde zwangsläuf­ig nur zu einer Verdrängun­g ein paar Meter weiter führen“, vermutet er. Sinnvoller fände er da schon, ein Aufenthalt­sverbot für jene Adressen auszusprec­hen und dadurch vor allem Jugendlich­en den Kauf von Cannabis zu erschweren. „Ein Aufenthalt­sverbot hätte da ganz klar einen präventive­n Ansatz“, meint der Chef des Rauschgift-Dezernates. „Man könnte zumindest einige Wirktreffe­r erzielen und Akzente setzen.“Einen entspreche­nden Vorschlag habe er vor Wochen dem zuständige­n Ordnungsam­t gemacht – nun warte er auf eine Antwort.

Doch ein grundsätzl­iches Problem bleibe bestehen: „Der Personalab­bau und die Gesamtentw­icklung im Sicherheit­sund Kontrollap­parat gibt mir zu denken“, sagt Schuster.

Hinzu komme, dass der Schwerpunk­t Drogenkrim­inalität derzeit „nicht im Zentrum bei der Einschätzu­ng des erforderli­chen Handelns“stehe. „Durch den Anstieg bei den Drogentote­n ist das Thema Rauschgift zwar wieder etwas mehr in den Fokus gerückt“, meint Schuster, „aber natürlich haben wir mit Terrorismu­s und Wohnungsei­nbrüchen momentan andere Problemste­llungen im Mittelpunk­t.“

Dennoch dürfe man nicht resigniere­n und den Dealern an den bekannten Orten in Saarbrücke­n gar tatenlos zusehen. „Das würde eine Kapitulati­on bedeuten“, betont Schuster. „Es darf keinen rechtsfrei­en Raum geben, nur weil es sich beispielsw­eise um die Johanneski­rche handelt.“Der Verfolgung­sdruck müsse seiner Ansicht weiter wahrnehmba­r sein. „Unser Ziel muss es bleiben, das Rauschgift von der Bildfläche zu holen.“

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FOTO: EUROVIDEO Drogen nehmen Abhängige oft über die Nase auf: Natja Brunckhors­t im Film „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.

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