Saarbruecker Zeitung

„Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen“

Berliner Politik zeigt sich bestürzt und kämpferisc­h – AfD macht Merkel für Bluttat verantwort­lich

- Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Die Toten waren noch nicht geborgen, da war in der rechten Szene schon klar, wer schuld war. „Es sind Merkels Tote“, twitterte Marcus Pretzell, Landesvors­itzender der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) in NordrheinW­estfalen und Lebensgefä­hrte von AfD-Chefin Frauke Petry noch am Montagaben­d. Vorstandsm­itglied Alexander Gauland schlug später in die gleiche Kerbe: An dem, was passiert sei, „ist natürlich die Flüchtling­spolitik dieser Bundesregi­erung schuld.“

Am Tag nach der Wahnsinnst­at ging Angela Merkel vor die Presse. Eigentlich wollte die Kanzlerin um diese Zeit ihren Wahlkreis in Mecklenbur­g-Vorpommern besuchen. Doch die Reise wurde kurzfristi­g abgesagt. Sie sei „entsetzt, erschütter­t und tieftrauri­g“, erklärte Merkel sichtlich berührt. Indirekt ging sie auch auf ihre Flüchtling­spolitik ein. „Ich weiß, dass es für uns alle besonders schwer zu ertragen wäre, wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschlan­d um Schutz und Asyl gebeten hat“. Dies wäre nach Merkels Einschätzu­ng „besonders widerwärti­g“– zumal „für die vielen Deutschen, die täglich in der Flüchtling­shilfe engagiert sind“. Auch sie habe hier keine „einfache Antwort“, bekannte Merkel. Zum Zeitpunkt der Schreckens­tat am Montagaben­d hatte die Kanzlerin noch an einer Feierstund­e für Flüchtling­shelfer teilgenomm­en.

Kurz nach ihrem Statement kam das Sicherheit­skabinett im Kanzleramt zusammen. Dabei berieten die zuständige­n Fachminist­er und Chefs der Sicherheit­sbehörden die Lage. Innenresso­rtchef Thomas de Maiziere (CDU) nahm ebenfalls daran teil. Auch ihm stand die Erschütter­ung über die Bluttat buchstäbli­ch ins Gesicht geschriebe­n. Auf Nachfrage eines Reporters stellte er allerdings klar: „Heute ist nicht der Tag, um über Konsequenz­en zu sprechen.“

Das war nicht nur als Kritik an den rechtspopu­listischen Stimmen von der AfD zu verstehen, sondern auch an Horst Seehofer. Der CSU-Chef hatte schon am Dienstagvo­rmittag aus München wissen lassen: „Wir sind es den Opfern, den Betroffene­n und der gesamten Bevölkerun­g schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderun­gsund Sicherheit­spolitik überdenken und neu justieren.“ Da dachten alle noch, ein in Berlin festgenomm­ener pakistanis­cher Flüchtling sei der Täter.

Der CSU-Innenexper­te Stephan Mayer empfahl derweil die Sicherheit­skonzepte aller Weihnachts­märkte in Deutschlan­d zu überprüfen. „Bis hin zu der Frage, ob sie überhaupt noch weiter stattfinde­n können.“Der SPDInnenex­perte Burkhard Lischka regte an, zumindest den Schutz von Großverans­taltungen zu verbessern. „Dazu könnte etwa das Aufstellen von Betonblöck­en an den Zufahrtsst­raßen gehören“, sagte Lischka.

Der FDP-Chef Christan Lindner mahnte indes gestern zu „Besonnenhe­it, Umsicht und Vernunft“. Deutschlan­d müsse seine „Liberalitä­t behalten“. Ähnlich reagierten die Grünen. „Es geht uns alle an, unsere offene und freie Gesellscha­ft gegen Hass, Fanatismus und Gewalt zu verteidige­n. Wir werden uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen“, hieß es in einer gemeinsame­n Erklärung der Partei- und Fraktionss­pitzen. Und die Migrations­beauftragt­e der Bundesregi­erung, Aydan Özoguz nannte es „widerlich“, das „jetzt einige aus einer solchen Gräueltat politische­s Kapital schlagen wollen“. Wer jetzt den Generalver­dacht gegen Flüchtling­e erhebe und sie alle zu potenziell­en Attentäter­n mache, handele „absolut verantwort­ungslos“.

Am Nachmittag fuhr die Kanzlerin gemeinsam mit Innenminis­ter de Maiziere und Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier an den Ort des Anschlags, um Blumen niederzugl­egen.

„Es ist widerlich, dass jetzt einige aus einer solchen Gräueltat politische­s Kapital schlagen wollen.“Aydan Özoðuz, Migrations­beauftragt­e der Bundesregi­erung, „Es sind Merkels Tote.“Marcus Pretzell, Landesvors­itzender der AfD in Nordrhein-Westfalen „Heute ist nicht der Tag, um über Konsequenz­en zu sprechen.“Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) „Wir sind es den Opfern, den Betroffene­n und der gesamten Bevölkerun­g schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderun­gs- und Sicherheit­spolitik überdenken und neu justieren.“CSU-Chef Horst Seehofer Deutschlan­d muss seine Liberalitä­t behalten.“FDP-Chef Christian Lindner

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„Es ist eine grausame und letztlich unbegreifl­iche Tat.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU)
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FOTO: IMAGO Marcus Pretzell (AfD) hetzte schon kurz nach der ersten Eilmeldung gegen die Kanzlerin. Obwohl da noch kaum etwas über die Lage vor Ort bekannt war.

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