„Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen“
Berliner Politik zeigt sich bestürzt und kämpferisch – AfD macht Merkel für Bluttat verantwortlich
Die Toten waren noch nicht geborgen, da war in der rechten Szene schon klar, wer schuld war. „Es sind Merkels Tote“, twitterte Marcus Pretzell, Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD) in NordrheinWestfalen und Lebensgefährte von AfD-Chefin Frauke Petry noch am Montagabend. Vorstandsmitglied Alexander Gauland schlug später in die gleiche Kerbe: An dem, was passiert sei, „ist natürlich die Flüchtlingspolitik dieser Bundesregierung schuld.“
Am Tag nach der Wahnsinnstat ging Angela Merkel vor die Presse. Eigentlich wollte die Kanzlerin um diese Zeit ihren Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern besuchen. Doch die Reise wurde kurzfristig abgesagt. Sie sei „entsetzt, erschüttert und tieftraurig“, erklärte Merkel sichtlich berührt. Indirekt ging sie auch auf ihre Flüchtlingspolitik ein. „Ich weiß, dass es für uns alle besonders schwer zu ertragen wäre, wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat“. Dies wäre nach Merkels Einschätzung „besonders widerwärtig“– zumal „für die vielen Deutschen, die täglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind“. Auch sie habe hier keine „einfache Antwort“, bekannte Merkel. Zum Zeitpunkt der Schreckenstat am Montagabend hatte die Kanzlerin noch an einer Feierstunde für Flüchtlingshelfer teilgenommen.
Kurz nach ihrem Statement kam das Sicherheitskabinett im Kanzleramt zusammen. Dabei berieten die zuständigen Fachminister und Chefs der Sicherheitsbehörden die Lage. Innenressortchef Thomas de Maiziere (CDU) nahm ebenfalls daran teil. Auch ihm stand die Erschütterung über die Bluttat buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auf Nachfrage eines Reporters stellte er allerdings klar: „Heute ist nicht der Tag, um über Konsequenzen zu sprechen.“
Das war nicht nur als Kritik an den rechtspopulistischen Stimmen von der AfD zu verstehen, sondern auch an Horst Seehofer. Der CSU-Chef hatte schon am Dienstagvormittag aus München wissen lassen: „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungsund Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren.“ Da dachten alle noch, ein in Berlin festgenommener pakistanischer Flüchtling sei der Täter.
Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer empfahl derweil die Sicherheitskonzepte aller Weihnachtsmärkte in Deutschland zu überprüfen. „Bis hin zu der Frage, ob sie überhaupt noch weiter stattfinden können.“Der SPDInnenexperte Burkhard Lischka regte an, zumindest den Schutz von Großveranstaltungen zu verbessern. „Dazu könnte etwa das Aufstellen von Betonblöcken an den Zufahrtsstraßen gehören“, sagte Lischka.
Der FDP-Chef Christan Lindner mahnte indes gestern zu „Besonnenheit, Umsicht und Vernunft“. Deutschland müsse seine „Liberalität behalten“. Ähnlich reagierten die Grünen. „Es geht uns alle an, unsere offene und freie Gesellschaft gegen Hass, Fanatismus und Gewalt zu verteidigen. Wir werden uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Partei- und Fraktionsspitzen. Und die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz nannte es „widerlich“, das „jetzt einige aus einer solchen Gräueltat politisches Kapital schlagen wollen“. Wer jetzt den Generalverdacht gegen Flüchtlinge erhebe und sie alle zu potenziellen Attentätern mache, handele „absolut verantwortungslos“.
Am Nachmittag fuhr die Kanzlerin gemeinsam mit Innenminister de Maiziere und Außenminister Frank-Walter Steinmeier an den Ort des Anschlags, um Blumen niederzuglegen.
„Es ist widerlich, dass jetzt einige aus einer solchen Gräueltat politisches Kapital schlagen wollen.“Aydan Özoðuz, Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, „Es sind Merkels Tote.“Marcus Pretzell, Landesvorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen „Heute ist nicht der Tag, um über Konsequenzen zu sprechen.“Innenminister Thomas de Maizière (CDU) „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren.“CSU-Chef Horst Seehofer Deutschland muss seine Liberalität behalten.“FDP-Chef Christian Lindner