Wortgewaltiger HipHop
Gospel und Gesellschaftskritik: „Yesterday’s Gone“von Loyle Carner und „Anarchie und Alltag“von der Antilopen Gang
Talisco „Capitol Vision“(Virgin Records/Universal): Talisco, der eigentlich Jérôme Amandi heißt und in Bordeaux geboren wurde, hat sich für sein zweites Album von der US-Metropole Los Angeles inspirieren lassen. Sie ist seine erklärte Lieblingsstadt. Ein trauriger Umstand hatte ebenfalls Einfluss auf den Entstehungsprozess des Albums: der Tod seines Onkels. Er war eine wichtige Bezugsperson in Taliscos Leben, ermutigte er ihn doch, sich seinen Traum von der Musik zu erfüllen. Der Multiinstrumentalist überzeugt auch auf „Capitol Vision“mit einem schwungvollen Mix aus Bombast-Pop, Electro und Folk. Das Überschwängliche dominiert in „Monsters And Black Stones“und „Shadows“, während in „Sitting With The Braves“und „Behind The River“das Theatralische Regie führt und in „The Martian Man“der Folk anklingt. HipHop jenseits und diesseits des Kanals kann so unterschiedlich klingen: ein Blick auf das Debüt des Londoner Newcomers Loyle Carner und das dritte Album des deutschen HipHop-Trios Antilopen Gang.
Der 22-jährige Loyle Carner wollte anfangs Schauspieler werden. Doch nach dem Tod seines Stiefvaters wandte er sich der Musik zu. Vor drei Jahren veröffentlichte er eine EP, danach tourte er mit dem US-Rapper Nas und der großartigen Rapperin/ Spoken WordPerformerin Kate Tempest. Nun darf er selbst ins Scheinwerferlicht treten. Nervös muss er nicht sein.
Sein beachtliches Debüt „Yesterday’s Gone“(AMF Records/Caroline/Universal
) steht in der Tradition der US-amerikanischen Hip Hopper A Tribe Called Quest, die von Beginn an entspannten, intelligenten HipHop mit Jazz-Versatzstücken produziert haben. Mit Tempests Songs wiederum haben Carners Lieder deren poetische Wortgewalt gemein. Auch Soul und Gospel spielt als Inspirationsquelle eine wichtige Rolle für den Londoner: „Florence“und „The Isle Of Arran“, in das ein Sample des wundervollen Gospelsongs „The Lord Will Make A Way“(im Original von S.C.I. Youth Choir, 1969) eingearbeitet wurde.
Hierzulande erschien vor 37 Jahren „Monarchie Und Alltag“, das vielbeachtete Debütalbum der Fehlfarben. Nun hat die Antilopen Gang den Titel in „Anarchie und Alltag“(JKP/
Gospel ist eine Inspirationsquelle für Newcomer Loyle Carner. Warner ) umgewandelt. Vielleicht weil Teile beider Bands aus Düsseldorf stammen und beide ein Faible für Punk haben. Die Antilopen Gang lässt letzteres am Ende des Songs „Hilfe“und in „Baggersee“, in dessen Verlauf sie eine Atombombe auf Deutschland werfen und den Krater fluten wollen, durchblicken.
Ansonsten bleiben Koljah, Panik Panzer und Danger Dan auf ihrem dritten Album dem HipHop treu. Sie verbinden linkspolitisches Denken mit Humor. Nachdem in „Pizza“die Terroranschläge in Brüssel und Paris und das Aufstreben rechter Parteien in Europa beklagt wurden, singen sie im Refrain: „Oh, ich glaube fest daran, dass uns Pizza retten kann / Sie verbindet diese Welt, Baby, lass uns Pizza bestellen / Oh, ich glaube fest daran, dass uns Pizza retten kann / Jeder Revolutionär braucht nur Pizza und Gewehr“.
Ihr Humor driftet zugegebenermaßen auch ins Alberne ab. Andererseits bringen sie auf raffinierte Weise das Schicksal der Flüchtlinge in einem nachdenklich stimmenden Song über den außerirdischen Sitcom-Helden ALF unter. Nachdenklich können sie: „Fugen Im Parkett“mit Gastsänger Schorsch Kamerun (Die Goldene Zitronen) ist ein zweites gelungenes Beispiel hierfür.
>> Termin: Antilopen Gang am 10.08.2017 auf dem Rocco Del Schlacco in Püttlingen. Weitere Infos: www.rdels.de, www.antilopengang.de
Poppiger Indie-Rock: Das Comeback-Album der Band Schrottgrenze ist eine Hommage an die Freiheit Zwischen 2010 und 2016 pausierte die 1994 gegründete Band Schrottgrenze. Deren Name legt zwar den Schluss nahe, es handle sich um Deutschpunk, dabei ist ihre Musik im poppigen Indie(punk)-Rock angesiedelt. Nachzuhören auf ihrem Comebackalbum „Glitzer Auf Beton“(Tapete/Indigo
). Auf dem nimmt Sänger Alex Tsitsigias, der nun in St. Pauli als Drag-Queen Saskia Lavaux im Rahmen der Partyreihe „LIPS – Gay.Les.Bi.Queer. Party“Lesben, Schwule, Transgender und auch Heterosexuelle willkommen heißt, eine zentrale Rolle ein.
Seine lila geschminkten Augenlider zieren das Cover und im eröffnenden Titelsong heißt es: „Schlag die Zweifel fort / Und lauf mit mir durch den Regen / Wir sind nur Kinder / So wie all‘ die anderen auch / Das Glotzen und Staunen / wird uns nicht zerlegen / In uns schlagen starke / „Trans soul rebel hearts“. Es geht um sein Coming Out und um die Freiheit, so zu leben, wie man will. Und um Burnout sowie Depression („Schlaf die Schmerzen weg“).
Schrottgrenze offenbaren auf „Glitzer Auf Beton“eine AntiAfD-Haltung, die sie im Booklet mit einem „Gruß“an besagte Partei unterstreichen. Schade, dass bei all diesen interessanten soziopolitischen Themen die Musik qualitativ hinterherhinkt – sie ist zu beliebig. Einer der musikalisch besten Songs ist neben „Ostern“das Cover „Seit Gestern“, im 1985er Original vom schottischen New Wave-Duo Strawberry Switchblade („Since Yesterday“). kfb