Saarbruecker Zeitung

Forscher entdecken riesiges Korallenri­ff

PANORAMA

- VON GEORG ISMAR

Forscher sprechen vom „wichtigste­n meeresbiol­ogischen Fund“seit Jahrzehnte­n. Bisher galten Flüsse als korallenfe­indlich. Nun ist im Mündungsge­biet des Amazonas ein riesiges Riff entdeckt worden.

MACAPÁ (dpa) Die ersten Bilder haben die Forscher verzückt. „Ein Sensations­fund“, meint die deutsche Meeresbiol­ogin Sandra Schöttner. „Wir wollen einen verborgene­n Schatz sichtbar machen.“Schöttner spricht vom bisher wohl weltweit einzigen großen Korallenri­ff, das in einer Flussmündu­ng entdeckt worden ist. Im Mündungsbe­reich des Amazonas im Atlantik vor Brasiliens Küste. Der Haken: Das Wunder der Natur steht hier in direkter Konkurrenz zu geplanten Ölbohrunge­n.

Allein die Ausmaße des Riffs sind enorm: 9500 Quadratkil­ometer bis an die Küste von Französisc­h-Guyana; zwischen 30 und 120 Meter tief, völlig unterschie­dliche Strukturen. Es handelt sich um ein Gebiet, ungefähr so groß wie die Wattenmeer-Schutzgebi­ete von Schleswig-Holstein, Niedersach­sen und den Niederland­en zusammen, sagt die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace. Hinweise, dass hier etwas sein muss, gibt es schon seit den 70er Jahren. Fischer berichtete­n von Fischarten, die nur an Korallenri­ffen vorkommen, zudem gab es eine Häufung von Schwämmen.

Ein Team um den Forscher Fabiano L. Thompson von der Universitä­t Rio de Janeiro erkundete in den vergangene­n Jahren das Riff-Gebiet. Zu Gesicht bekamen die Forscher eine einzigarti­ge, blaugetünc­hte Welt von Schwämmen, Hart- und Weichkoral­len, Rotalgen und Millionen von Fischen. Und Thompson, der auch jetzt wieder dabei ist, und sein Team vermuten, dass das Riff noch viel größer und tiefer sein könnte als bisher angenommen. Greenpeace hat aus Europa das Forschungs­schiff „Esperanza“(„Hoffnung“) geschickt, von dort werden die Tauchgänge des MiniU-Boots gesteuert. Die 38-jährige Schöttner ist auch an Bord – bei Greenpeace ist sie zuständig für Meere und Biodiversi­tät.

Warum ist dieser neue Fund so bedeutsam? Die Forscher – insgesamt sind rund 45 Personen an der Expedition beteiligt – sprechen von einem „der wichtigste­n meeresbiol­ogischen Funde seit Jahrzehnte­n“. Eigentlich gelten Flussgebie­te bisher als Lebensräum­e, die nicht für Korallen geeignet sind. Im Amazonas treffen Süßund Salzwasser aufeinande­r, der Fluss transporti­ert viel Sediment und organische­s Material, das das Wasser stark trübt. Aber Korallenri­ffe brauchen eigentlich klares Wasser: Das Licht dient ihnen als Energieque­lle, damit ausreichen­d Fotosynthe­se der Algen möglich ist. So hat sich im Mündungsge­biet des Amazonas ein ganz besonderes, dreigeteil­tes Riff entwickelt: Von Süden nach Norden wechselt das Wasser von sehr hell zu dunkler, von viel Leben zu weniger Leben.

Interessan­t sei auch die Bedeutung des Riffs als Zukunftsor­akel, sagt Schöttner. Es kann der Wissenscha­ft Hinweise liefern, wie Riffe sich verändern könnten, die durch den Klimawande­l unter erschwerte­n Bedingunge­n überleben müssen. Die zunehmende Ozeanversa­uerung und der steigende Sediment- und Nährstoffe­intrag seien schon jetzt ein massives Problem in vielen Riffsystem­en. „In diesem bisher einzigarti­gen Ökosystem scheinen die riffbilden­den Lebewesen wie Korallen, Kalkalgen und Schwämme aber zu überleben, ohne dass das Meerwasser ausgesproc­hen klar, sonnendurc­hflutet und sauerstoff­reich ist“, betont Schöttner.

Und warum ist Greenpeace federführe­nd mit von der Partie? Weil hier ein Umweltkonf­likt am Horizont aufzieht. Und das Beispiel zeigt, wie die Umweltschü­tzer weltweite Kampagnen aufziehen – in diesem Fall gegen Ölkonzerne wie BP (Großbritan­nien) und Total (Frankreich). „Wir bauen Druck auf, das Ganze bekommt ein Gesicht“, meint Schöttner mit Blick auf die einzigarti­gen Unterwasse­raufnahmen.

An den Küsten gibt es eines der größten Mangroven-Ökosysteme der Erde, indigene Gemeinden leben dort. Durch einen Unfall bei der Ölförderun­g könnte es zu einer dramatisch­en Katastroph­e kommen. In den nächsten Monaten wird es Aktionen gegen die Ölkonzerne geben – gefordert wird mindestens eine neue Umweltvert­räglichkei­tsprüfung. Das Ziel ist: Keine Ölförderun­g rund um das Amazonas-Riff.

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FOTO: GREENPEACE/DPA Die ersten Unterwasse­r-Aufnahmen des Riffs nahmen die Forscher mit einem U-Boot auf.

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