CDU und CSU schließen lediglich einen Scheinfrieden
LEITARTIKEL
Der gemeinsame Auftritt von Angela Merkel und Horst Seehofer gestern in München war ein politischer Schleiertanz. Alles wieder prima, alles wird wieder gut. Doch nach dem ganzen Hin und Her, nach all den Attacken aus Bayern gegen Merkel, ist es nicht sonderlich glaubhaft, dass die CDUChefin und der CSU-Vorsitzende nun ihren zweiten oder dritten Frühling erleben.
Angela Merkel geht mit vielen Schwachstellten in ihre vierte Kanzlerkandidatur. Erstens ist sie wegen ihrer Flüchtlingspolitik beim Volk nicht mehr so unangefochten wie früher. Die AfD sitzt ihr im Nacken. Zweitens steht ihre eigene Basis nicht mehr geschlossen hinter ihr, vor allem jene in CDU und CSU nicht, die Merkel für den Verlust der konservativen Werte verantwortlich machen. Drittens zweifelt sie selbst an sich, wie ihr langes Zaudern und die dann schmuckund lustlose Verkündung der erneuten Kandidatur im November gezeigt haben. Auch in München wurde die Zustimmung der CSU nicht zelebriert oder gefeiert, wie die SPD dies bei der Benennung ihres Kanzlerkandidaten getan hat, sondern lediglich während einer Pressekonferenz eher geschäftsmäßig erläutert. Wer Merkel dabei beobachtet hat, der konnte sehen: Aufbruch und Neustart sind etwas anderes. Viertens steht der CDU-Vorsitzenden mit Martin Schulz jetzt plötzlich ein SPD-Gegenkandidat gegenüber, der ohne Rücksicht auf großkoalitionäre Zwänge die Kanzlerin attackieren kann und selbst im bürgerlichen Lager Sympathien zu sammeln scheint. Der Hype um Schulz macht die Union viel nervöser, als ihre Vertreter in München öffentlich zugeben wollten. Gestern lag die SPD sogar erstmals in einer Umfrage vor der Union – eine beispiellose Aufholjagd. Sollte sich der Trend für die Genossen in den nächsten Wochen verfestigen, könnte sich die neue Unions-Harmonie schnell als ein Scheinfriede entpuppen. Die Geschlossenheit wäre wieder dahin. Doch ohne diese lässt sich keine Wahl gewinnen.
Hinzu kommt, dass CSU-Chef Seehofer mächtig unter Druck steht. Seine über anderthalb Jahre andauernden Angriffe gegen die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik haben bei Teilen der eigenen Leute eine Anti-MerkelStimmung erzeugt, die sich nicht einfach durch die Ankündigung verflüchtigt, die CDU-Chefin nun ohne Wenn und Aber als UnionsKanzlerkandidatin unterstützen zu wollen. Der Bayernkönig wird deshalb seine liebe Mühe haben, jene für einen Merkel-Wahlkampf zurückzugewinnen, die er vorher gegen die Kanzlerin aufgebracht hat. Womöglich hängt sogar Seehofers eigenes politisches Schicksal davon ab, inwieweit ihm das in den nächsten Monaten bis zur Bundestagswahl gelingen wird. Der Bayer, dünnhäutig und kein Mann des politischen Spagats, bleibt unberechenbar. Das weiß auch Merkel. Die Kanzlerin selber hat schon gesagt, es werde ihr schwierigster Wahlkampf werden. Ihre Vorahnung ist mehr als berechtigt.