Saarbruecker Zeitung

Diktator Kim und der tote Halbbruder

Südkoreas Regierung ist sicher: Zwei Agentinnen haben einen Giftanschl­ag im Auftrag von Nordkoreas Machthaber verübt.

- VON FINN MAYER-KUCKUK

PEKING Es klingt wie eine dieser Agentenges­chichten. Auf dem Flughafen von Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur macht sich ein Nordkorean­er namens Kim Jong-Nam gerade auf den Weg zum Check-in nach Macao – einer Hochburg des internatio­nalen Glücksspie­ls. Plötzlich nähern sich ihm zwei asiatisch aussehende Frauen und rammen ihm „Giftnadeln“in den fülligen Körper. Dann tauchen sie in der Menge unter und flüchten in einem Taxi.

Das Schlimme ist: Der filmreife Mord ist womöglich Realität. Geplant haben soll ihn Nordkoreas Diktator Kim Jong-Un (33), der Halbbruder des Getöteten. Das bestätigte gestern zumindest die südkoreani­sche Regierung. Sie stützt sich dabei auf die Sanitäter, die im Krankenwag­en vergeblich um das Leben des 45-jährigen Opfers gekämpft hatten. Vor seinem Tod soll er ihnen gesagt haben, dass der Diktator der Absender der Giftboten war. Licht ins Dunkel wird vielleicht eine Vietnamesi­n bringen, die Polizisten gestern in Malaysia verhaftet haben. Auf ihre Spur kamen die Ermittler durch Aufnahmen der Flughafen-Kameras. Womöglich ist sie eine der Agentinnen. Die Ermittlung­en zeigen auch, dass Jong-Nams Mörder ihm wohl ein Tuch über den Kopf gestülpt und mit Gift besprüht haben. Sicher ist: Mit dem Anschlag hätte der junge Machthaber nicht nur bewiesen, dass sein Arm weit über die Landesgren­zen hinausreic­ht. Es wäre auch weiterer Beleg für dessen Rücksichts­losigkeit und Grausamkei­t. Sein Halbbruder war vom gemeinsame­n Vater Kim Jong-Il ursprüngli­ch für die Nachfolge vorgesehen. Er hatte jedoch auf die Macht verzichtet und sich für ein ruhiges Leben in Macao entschiede­n. Seit einem gescheiter­ten Mordanschl­ag 2012 fürchtete er um sein Leben.

Kim Jong-Un hat seit seiner Machtübern­ahme 2011 bereits mehrere Familienmi­tglieder umbringen lassen, darunter einen Onkel, der als sein politische­r Mentor galt. Zudem wurden 140 hochrangig­e Parteimitg­lieder exekutiere­n. „Das Motiv für den Anschlag auf Kim Jong-Nam war vermutlich zunehmende­r Verfolgung­swahn“, meint Mark Tokola vom Korea Economic Institute. Der jüngere Bruder habe die schiere Existenz des ursprüngli­chen Kronprinze­n als Bedrohung wahrgenomm­en.

Jong-Nam hat sich zudem vor fünf Jahren in einem Buch über die Lage in Nordkorea geäußert und Reformen gefordert. Er hat darin auch prophezeit, dass die Politik seines jüngeren Bruders scheitern wird. Das soll den Diktator erzürnt haben.

Jong-Un und Jong-Nam sind beide Söhne des verstorben­en Diktators Kim Jong-Il, haben aber verschiede­ne Mütter. Beide sind im Ausland zur Schule gegangen. JongNam fühlte sich jedoch für die Rolle als stalinisti­scher Diktator ungeeignet. Er wollte lieber die Welt sehen. 2001 griffen ihn die japanische­n Behörden auf, als er versuchte, in Tokio unter falschem Namen als Tourist einzureise­n: Er wollte einen Vergnügung­spark besuchen. Der Vater baute in den Jahren danach dann Jong-Un als Nachfolger auf, obwohl dieser als zu jung galt. Heute sitzt aber fest im Sattel. Er soll jedoch nach Kokain süchtig sein, was seinen Verfolgung­swahn verstärken soll. Um seine Exekutions­methoden ranken sich allerlei Gerüchte. Zur Abschrecku­ng soll er Flammenwer­fer oder Flugabwehr­geschütze verwenden lassen, um politische Feinde zu töten. Mit der Ermordung seines Halbbruder­s hätte er sich gleichsam ein vorgezogen­es Geburtstag­sgeschenk gemacht. Denn heute feiert das ganze Land den Freudentag des „respektier­ten Führers“.

Ein bedrohlich­er Fakt ist hingegen: Am Wochenende erst hatte Kim durch den Test einer Mittelstre­ckenrakete auf sich aufmerksam gemacht. Japans Metropolre­gion Tokio, einer der weltweit wichtigste­n Zentren von Wirtschaft und Kultur und Heimat für über 30 Millionen Menschen, liegt nun praktisch in Reichweite der Atombomben des paranoiden und instabilen Diktators.

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FOTOS: AFP/IMAGO Hinter der unscheinba­ren Fassade steckt ein kaltblütig­er Mensch: Diktator Kim JongUn ist für seine Brutalität und Willkür berühmt und berüchtigt.
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Kim Jong-Nam war der Spross einer gefürchtet­en Herrscher-Familie. Doch er wollte lieber ein Leben fernab der nordkorean­ischen Diktatur genießen.

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