Festhalten und mitfliegen
Rich Hopkins & Luminarios: „My Way Or The Highway“: Gitarren-Tornados erinnern an Neil Young
Christine Owman „When On Fire“(Glitterhouse/Indigo): Bereits mit fünf Jahren begann Owman das Cello-Spiel. Seither streifte sie klassische Musik, New Wave und Punk, Post-Rock und Psychedelic-Rock. Längst hat sie ihren eigenen Stil gefunden, einen Sound zwischen Hall und Noise, tastend und verträumt, zugleich aber auch wuchtig und düster. Darf man Shoegaze dazu sagen? Darf man. Doch gegen die Melodieversessenheit der Speerspitze des Genres (Beach House, Hunt) ist dieses Song-Paket ein weit sperrigeres, albtraumhaftigeres, ungleich aufwühlenderes Werk. Und mit Mark Lanegan – der beim Titel-Stück mitbrummt – hat der Blondschopf natürlich einen Bruder im Geiste an seiner Seite. Toll ist auch das Cover: Der Falter ist kein Schmetterling, sondern passenderweise eine Motte! Wenn Rich Hopkins zu seinen magischen, himmelwärts gerichteten Saitenritten ansetzt, gibt es für den Fans nur eins: festhalten und mitfliegen, darauf vertrauend irgendwann auch wieder sicher zu landen – bis zum nächsten Flug… Immerhin funktioniert das für mutige Americana-Hörer ja schon seit nahezu drei Jahrzehnten. Stets fielen Vergleiche mit den Gitarren-Tornados eines Neil Young. Und exakt das lässt sich ganz uneingeschränkt auch für „My Way Or The Highway“(Blue Rose Records) behaupten.
Wer diesen Reigen nicht zwingend vorne starten muss, kann sich zunächst mit dem vierten Track, den acht unaufhörlich stürmischen Minuten von “If You Want To” infizieren lassen. Wenn man es nicht wusste, weiß man’s jetzt: Mister Hopkins spielt nicht nur famos Gitarre, er singt auch prächtig.
Und er hat – wie stets – kongeniale
Sänger Rich Hopkins ist auch ein Virtuose an der Gitarre. Begleiter an seiner Seite. Zudem sind die Gesangs-Beiträge von Gattin Lisa Novak schon seit einigen Alben ein verlässlicher Gewinn. Wie sie „Want You Around“mit Pop-Finesse und CountryTwang gleichermaßen auflädt, gemahnt an Eminenzen wie Lucinda Williams und Aimee Mann.
Mit „Lost Highway“gönnen sich Rich Hopkins & Luminarios ein entspannt gezupftes Instrumental zum Luftholen, mit dem ereignislosen „Journey To Palenque“eine kurze (musikalisch unnötige) Auszeit. Die kleine HipHop-Einlage von Cesar Aguirre im Song „Meant For Mo‘“funktioniert wiederum erstaunlich gut.
Überhaupt werden das Energie-Level und die Leidenschaft konsequent hoch gehalten. Eine konstante Sound-Dichte ist dafür nicht nötig, die Tempi dürfen virtuos variieren, Lautstärken auf- und abebben, Emotionen nach Belieben der Akteure ihre Kraft entfalten. Obwohl, bei genauerer Betrachtung lässt sich schon ein ganz bestimmtes Gefühl am häufigsten ausmachen: eine tiefe Sehnsucht – Sehnsucht nach dem Unterwegssein, nach (landschaftlicher) Schönheit, nach Momenten des Einsseins mit höheren Mächten und geliebten Menschen, nach Magie und Intensität.
Ach ja, wer sich für den regulären Einstieg in dieses zwischen Austin, Texas und Tucson, Arizona entstandene Album entschieden hat, dem begegnet mit dem Song „Angel Of The Cascades“zuerst die herrlich (Orgel-) schlingernde, sich zu einem erlösenden Finale steigernde Storytelling-Ballade und mit „Gaslighter“der denkbar fokussierteste und feisteste Country-Rock.
Nun, eine Gesamt-Laufzeit von gut 55 Minuten ist natürlich ein weiterer triftiger Grund für die Investition in dieses Meisterwerk ungezügelter Entfesselung und brillanter Fokussierung im perfekten Einklang.
„Nordic Balm“von Karl Seglem und „Buoyancy“von Nils Petter Molvaer: Zwei jazzige Alben aus Norwegen Man versteht das nicht so recht, denn „Ossicles“, der bezaubernde Vorgänger zu „Nordic Balm“(Ozella Music/Galileo ), hatte alles was das Herz des jazzaffinen Weltmusik-Hörers begehrt: das süße Schweben, das sanfte Aufreiben, die überschäumende Lebenslust, erfrischende Luftigkeit und wohltuende Erdung. Und nun gibt sich der verdiente (33 Alben bislang!) norwegische Saxophonist und Ziegenhorn-Bläser Karl Seglem dem bedachten Klang, dem wohligen Arrangement, leichtgängiger Melodie und unbedingter Harmonie hin. Ja, auch Balsam kann man überdosieren.
Mit „Buoyancy“(OKeh/ Sony ) ertönt das genaue Gegenteil. Unberechenbarer und beglückender als der ebenfalls in Norwegen beheimatete Trompeter Nils Petter Molvaer ist niemand im weiten Feld zwischen Jazz und Experiment unterwegs. Die elektronischen
Effekte – inklusive chaotischer Sound-Verdichtungen – werden vom Künstler selbst erzeugt und sie gehen Hand in Hand mit seiner so köstlich an Chet Baker’s Trompete gemahnenden Spielweise. Bereicherung erfährt dieses von Tauch-Erfahrungen der Akteure inspirierte Werk von einer Pedal Steel, berückendem Getrommel, ein wenig Banjo-Picking nebst weiteren Saiten sowie Orgel- Verzierungen. alh