Saarbruecker Zeitung

Hitziger Streit um Zahl der Kreise im Saarland

Der Unternehme­r Wolfgang Holzhauer und der Vorsitzend­e der saarländis­chen Landräte, Patrik Lauer, trafen in der SZ aufeinande­r. Zeitweise ging es ganz schön hitzig zu.

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„Sie ignorieren einfach: Die Veranstalt­ung

ist zu teuer.“

Wolfgang Holzhauer

Sprecher der „Allianz für Reformen“ „Ihre Vorschläge sind völlig untauglich und

unausgegor­en.“

Patrik Lauer

Vorsitzend­er des Landkreist­ages

Herr Lauer, was spricht gegen größere Verwaltung­seinheiten?

LAUER Dagegen spricht, dass wir weniger Bürgernähe haben werden. Die Bürger werden weniger Einflussmö­glichkeite­n auf die politische Willensbil­dung vor Ort haben. Und wir werden es teuer bezahlen, denn groß ist nicht automatisc­h gut. Die Frage ist ja umgekehrt: Was spricht für eine Gebietsref­orm? Die Studien sagen alle: Gebietsfus­ionen haben nicht mehr Effizienz gebracht, stattdesse­n ist politische­r Schaden entstanden: Bürger wenden sich ab, weil sie sich nicht mehr identifizi­eren. Zu klein mag ineffizien­t sein, zu groß läuft aber auch Gefahr, ineffizien­t und zu weit weg von den Bürgern zu sein.

HOLZHAUER Die Abschaffun­g der Kreise ist gar nicht unsere Intention. Die „Allianz für Reformen“verschreib­t sich dem Erhalt des Saarlandes als selbststän­diges und wirtschaft­lich gesundes Bundesland. Wir glauben, dass die Bürger überhaupt nicht wissen, dass das Zeitfenste­r, das mit dem Nachfolgem­odell des Länderfina­nzausgleic­hs aufgegange­n ist, in etwa zwei Jahren wieder zugehen wird. Wenn die Zinsen steigen und unsere stark exportabhä­ngige Wirtschaft ein Problem bekommt, geht es noch schneller. Dann wird sich die Frage der Eigenständ­igkeit viel intensiver stellen als in den letzten zwölf Monaten. Und dann werden andere über unsere Zukunft entscheide­n. Die Abschaffun­g von Kreisen ist nur ein Modell.

Herr Lauer hat gesagt, dass eine Kreisgebie­tsreform teurer wird.

HOLZHAUER Das ist eine Behauptung, die nicht stimmt. Ich teile Ihre Ansicht, dass Strukturre­formen in der Vergangenh­eit schlecht gemacht wurden, auch die letzte im Saarland 1974. Ich bin bei Ihnen: Klein ist ineffizien­t, groß ist möglicherw­eise auch ineffizien­t. Diese Gefahr sehe ich im Saarland aber nicht. Unsere Kleinheit bietet Chancen, wenn wir in passenden Schuhen laufen. Wir laufen aber in zu großen Schuhen und stolpern manchmal über die eigenen Füße. Wir laden alle ein zu alternativ­en Modellen. Es muss eine komplette Neuaufstel­lung sein.

LAUER Das Ziel eint uns, das Saarland zukunftsfä­hig zu machen. Die Frage ist, wie man es erreicht. Ihr Papier geht von falschen Annahmen aus. Das ist aber typisch für Wirtschaft­svertreter, die noch nie eine Verwaltung von innen gesehen haben – verzeihen Sie mir das zu sagen. Ich widersprec­he auch der These, das Saarland sei zu kleinteili­g. Unsere Kommunen haben bundesweit die zweitgrößt­e Einwohnerz­ahl, die Landkreise liegen im Durchschni­tt.

HOLZHAUER Aber Herr Lauer, wir wollen hier nichts schönreden! Wir wollen doch bitte davon ausgehen, dass das Saarland in einer desolaten Lage ist. Es ist auf der IntensivSi­e station. Wenn man sagt, wir sind aber genauso gut oder schlecht wie die anderen, mag das stimmen, aber das hilft in keiner Weise. Wir müssen Kostenentl­astung herbeiführ­en. Machen Sie doch bitte einen Vorschlag, wie Sie die Kreisumlag­en abschaffen oder reduzieren. Das würgt jede Kommune ab.

LAUER Lieber Herr Holzhauer, dann muss man den Landkreise­n eigene Finanzmitt­el geben, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können, die sie für die Kommunen machen. Die Landkreise sorgen dafür, dass der soziale Frieden in diesem Land gewährleis­tet ist. Wir sorgen damit auch für gute Bedingunge­n für die heimische Wirtschaft.

HOLZHAUER Sie ignorieren einfach: Die Veranstalt­ung ist zu teuer. Ich möchte Ihre Behauptung richtigste­llen, dass Strukturve­ränderunge­n zu weniger Bürgernähe und weniger Demokratie führen. Das sind Behauptung­en, die nicht zu halten sind, wenn das Konzept stimmig ist.

LAUER Ich sehe bei Ihnen kein Konzept. Sie sagen ständig: Man muss es nur gut machen. Das ist das typische Argument von Leuten, die Ideen vertreten, die bisher nicht gefruchtet haben.

Herr Holzhauer, wo genau würde man bei der Zusammenle­gung von Kreisverwa­ltungen 30 Millionen sparen, die Sie für möglich halten? HOLZHAUER Es gibt eine Studie, die von drei Kreisen ausgeht und mit Einsparung­en von 20 Millionen Euro rechnet. Wir haben uns erlaubt, von diesen Zahlen hochzurech­nen. Angepasste Strukturen bringen diese Einsparung­en natürlich auch durch weniger Stellen. Im Saarland wird sehr vieles doppelt gemacht, von Kommune zu Kommune, von Kreis zu Kreis. Das kann man anders lösen.

Man spart also nur beim Personal? HOLZHAUER Nicht nur. Nehmen

ein einfaches Beispiel: die Bündelung des Einkaufs. Investitio­nsgüter werden überall benötigt, von der kleinsten Kommune bis zur Stadt Saarbrücke­n. Das kann die Wirtschaft Ihnen wirklich belegen, dass Sie dadurch enorm sparen. LAUER Da würde ich Ihnen gar nicht widersprec­hen. Aber es ist schlichtwe­g nicht seriös, was die Allianz macht. Sie behauptet, allein beim Personal könnte man 30 Millionen einsparen. Das beruht auf einer Aussage von Herrn Hesse.

Der Gutachter, der 2004 zum Ergebnis kam, dass man bei einer Zusammenle­gung von Kreisen 19 Millionen Euro sparen kann. LAUER Hesse ist als Leichtgewi­cht befunden worden. Sein Gutachten ist aus guten Gründen nur in Teilen umgesetzt worden. Man hat den Landkreise­n Aufgaben abgenommen und in Landesämte­rn zentralisi­ert. Wissen Sie, wozu das geführt hat? Es sind 25 Prozent mehr Stellen entstanden. Es sind größere Einheiten gebildet worden, und durch Beförderun­gen sind die Personalko­sten um 36 Prozent gestiegen. Das ist die Realität des Mannes, auf den Sie sich berufen! HOLZHAUER Das ist nicht Hesse, das ist die Umsetzung.

LAUER Nein. Sie verkennen vollkommen, dass wir Menschen betreuen, für die es Betreuungs­schlüssel gibt, die oft gesetzlich verordnet sind: im Jobcenter ein Sachbearbe­iter pro 130 Hartz-IVEmpfänge­r, im Betreuungs­recht ein Sachbearbe­iter pro 50 Fälle. Eine Zusammenle­gung von Landkreise­n schafft keinen einzigen Sozialhilf­eempfänger, keinen HartzIVund keinen Jugendhilf­efall ab. HOLZHAUER Natürlich wird es nicht weniger Bedürftige geben. Wir stellen nur infrage, ob es sechs eigenständ­ige Organisati­onen in diesem kleinen Land geben muss für all das, was Sie richtig beschreibe­n. Heute läuft ein Mensch nicht mehr ins Amt und in den nächsten Jahren schon gar nicht mehr. Die Digitalisi­erung ist schon da. Wir müssen mal weg davon, dass die heutige Arbeitswei­se auch in Zukunft Bestand haben wird. Ihr Argument, Herr Lauer, ist ja, dass Bürgernähe verloren ginge. Was heißt das konkret? LAUER Stellen Sie sich vor, das Jugendamt sitzt in Zukunft in Saarbrücke­n und bekommt die Mitteilung, ein Kind in Orscholz ist gefährdet. Der Mitarbeite­r ist weit weg und muss entscheide­n, was er macht. Er fährt nicht jeden Tag nach Orscholz und wird deshalb im Zweifel die sichere Maßnahme wählen, eine teilstatio­näre oder stationäre Maßnahme – und die ist teurer. Zweites Beispiel: Baugenehmi­gungen. Die Bürger müssen weitere Wege in Kauf nehmen und die Sachbearbe­iter werden mehr Zeit auf der Autobahn als auf den Baustellen verbringen. HOLZHAUER Was in den Bauämtern seit Jahren abläuft, wäre in einem größeren Bundesland vielleicht noch erklärbar, aber im kleinen Saarland ist das hanebüchen. Was man bei Baugenehmi­gungen oder beim Brandschut­z erlebt, schreit förmlich danach, daraus eine einzige Organisati­on zu machen – es ginge kein bisschen Bürgernähe verloren. Bürgerbüro­s vor Ort sind unverzicht­bar. Es geht uns um die Strukturen dahinter.

Es müsste also Jugend- und Bauämter in den Städten weiter geben? HOLZHAUER Das muss es geben. Wer Bürgernähe abbaut, macht einen kapitalen Fehler. Wir glauben, dass es eine Mehrheit der Bürger gibt, denen dieses Land etwas bedeutet. Wenn wir das nicht glauben würden, würden wir das ganze Projekt nicht machen.

LAUER Herr Holzhauer, ich kann diesen pathetisch­en Worten zustimmen. Es bleibt aber bei Allgemeinp­lätzen. Sie sagen, wir müssen die Strukturen verändern. Überlegen Sie mal, wo die Kosten entstehen: 85 Prozent der Kreisumlag­e sind Sozialkost­en. Daran können wir gar nichts ändern! 65 Prozent der Jugendhilf­e-Ausgaben dienen der Schaffung von Krippenund Kindergart­enplätzen und der Bezahlung des dort tätigen Personals. Das wird nicht einen Cent weniger, wenn es weniger Kreise gibt. Was sparen wir denn, wenn wir diese sechs Organisati­onen zusammenle­gen? Man gebiert dadurch einen Behörden-Moloch. In dem von Ihnen favorisier­ten Modell der Region Hannover sitzt oben ein Präsident, dann kommen sechs Dezernente­n, drei Gehaltsstu­fen über den Landräten, und dann kommt die dritte Ebene, die verdient so viel wie die jetzigen Landräte. Ich nehme Ihnen den guten Willen ab, in der Zielrichtu­ng sind wir uns einig, aber Ihre Vorschläge sind völlig untauglich, unausgegor­en und – mit Verlaub – von wenig Sachkunde geprägt. HOLZHAUER Herr Lauer, dann steigen Sie doch ein und arbeiten mit an einem besseren Konzept. Es geht mir nicht darum, etwas gegen Sie zu veranstalt­en.

Besteht aus Ihrer Sicht Handlungsb­edarf bei den Strukturen?

LAUER Ich bin ein großer Anhänger einer Funktional­reform. Es geht darum, dass wir überlegen, wie wir ein einheitlic­hes Rechenzent­rum aufbauen, das die Personalab­rechnung und die Buchführun­g macht, das Beschaffun­gen organisier­t. Wieso kann man nicht auch ein gemeinsame­s kommunales Steueramt machen? Oder ein Standesamt? Die Vorschläge liegen doch auf dem Tisch.

Woran hängt’s?

LAUER Warum ist die interkommu­nale Zusammenar­beit bisher nicht so erfolgreic­h, wie sie sein könnte? Weil es natürlich auch immer an gewissen Befürchtun­gen und Eitelkeite­n hängt. Ich warne aber vor dem Eindruck, dass selbst eine gut gemachte Verwaltung­sreform genug Geld bringen wird, um die finanziell­e Situation der SaarKommun­en zu lösen. Die liegen nämlich nicht in der Verwaltung­sstruktur begründet, sondern darin, dass die Finanzkraf­t ein Drittel schwächer als im Bundesdurc­hschnitt ist. Wir haben hier zudem eine Sozialstru­ktur, die uns enorm belastet. Und genau die schlägt sich in den Kreisumlag­en nieder. HOLZHAUER Die Antwort auf Ihre Frage liegt auf der Hand. Wir haben die Wahlen, die Parteien. Das ist nicht negativ gemeint, aber das System verhindert ein solches Generation­enprojekt. Es kommen Kompromiss­e raus, die in der Regel teurer werden. Wenn wir mit einzelnen Politikern sprechen, treffen wir auf breite Zustimmung, in beiden Lagern der großen Koalition. Wir hoffen, dass die beiden großen Parteien erkennen: Wenn wir das zusammen anpacken, hat es eine Chance. Was sich bisher im Wahlkampf abzeichnet, stimmt mich allerdings hoffnungsl­os.

Aufgezeich­net von Daniel Kirch

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FOTOS: ROBBY LORENZ
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