Saarbruecker Zeitung

„Am Ende ändert sich im Gesundheit­swesen wenig bis nichts“

INTERVIEW JÜRGEN WASEM Gesundheit­sexperte Jürgen Wasem sieht zwar große Potenziale zur Kostensenk­ung, aber wenig Bereitscha­ft zum Sparen.

-

BERLIN Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s sind die Gesundheit­sausgaben in Deutschlan­d nun schon das vierte Jahr in Folge stärker gestiegen als das Bruttosozi­alprodukt. 2015 waren es im Schnitt 4213 Euro pro Einwohner – 4,5 Prozent mehr als im Jahr davor. Was das für das Gesundheit­ssystem bedeutet, erläutert Jürgen Wasem, Gesundheit­swissensch­aftler an der Universitä­t Duisburg.

Herr Wasem, ist die rasante Ausgabendy­namik gefährlich?

WASEM Nun, wir sind eine alternde Gesellscha­ft und wollen gleichzeit­ig am medizinisc­hen Fortschrit­t teilhaben. Da liegt es nahe, dass die Kosten im Gesundheit­sbereich stärker steigen als die Wirtschaft­sleistung. Vor 40 Jahren hat Deutschlan­d noch acht Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für die Gesundheit aufgewende­t. Jetzt sind es elf Prozent. Wirklich gefährlich ist dieser Trend nicht. Warum verursacht der medizinisc­he Fortschrit­t automatisc­h höhere Kosten? Fernsehger­äte sind doch auch immer besser und gleichzeit­ig billiger geworden.

WASEM Sicher muss nicht jeder Fortschrit­t in der Medizin teurer sein. Allerdings haben wir schon ein sehr hohes Versorgung­sniveau in Deutschlan­d. Zusätzlich­e Verbesseru­ngen sind da oft nur zu sehr hohen Kosten realisierb­ar. Mit neuen Krebsmedik­amenten zum Beispiel kann man das Leben der Betroffene­n um einige Monate verlängern. Aber die haben eben ihren Preis.

Zuletzt hatte ein neues HepatitisC-Mittel für Schlagzeil­en gesorgt, das zunächst 700 Euro pro Tablette kostete. Werden die Kassen so etwas in Zukunft überhaupt noch finanziere­n können?

WASEM Seit einigen Jahren sind die Preisverha­ndlungen zwischen Kassen und Pharmahers­tellern strenger reglementi­ert. Das ist sicher ein Fortschrit­t. Schon wegen der alternden Gesellscha­ft stellt sich allerdings tatsächlic­h das Problem, ob wir uns in Zukunft noch beinahe alles und zu jedem Preis leisten können. Hier scheut die Politik noch die Diskussion. Übrigens auch vor dem Hintergrun­d der deutschen Geschichte. Man denke nur an die menschenve­rachtende Euthanasie-Praxis der Nazis.

Patienten in Deutschlan­d suchen im Schnitt bis zu 18 Mal einen Arzt im Jahr auf, doppelt so häufig wie in anderen europäisch­en Staaten. Trotzdem sind sie nicht gesünder. Was läuft da schief?

WASEM Das hängt sicher zum großen Teil mit dem Bezahlsyst­em für die Ärzte zusammen. Damit lohnt es sich nämlich, Patienten häufig einzubeste­llen, auch wenn das vielleicht gar nicht nötig wäre. Allerdings kenne ich kein Land, das hier einen Königsweg gefunden hätte. Würde man Ärzte nur noch mit Pauschalen vergüten, gäbe es zwar keinen Anreiz zu häufigen Behandlung­en mehr. Doch ginge das auch zulasten der wirklich Kranken. Wahr ist zudem, dass in anderen Ländern bereits Krankensch­western, Physiother­apeuten und sogar Optiker medizinisc­he Behandlung­en vornehmen dürfen, die in Deutschlan­d nur den Ärzten vorbehalte­n sind. Das macht das System in solchen Ländern tendenziel­l billiger.

Wo ließe sich viel Geld sparen, ohne die Versorgung zu beeinträch­tigen? WASEM Die größten Wirtschaft­lichkeitsr­eserven liegen in der immer noch weitgehend­en Trennung zwischen Krankenhäu­sern und Praxisärzt­en. Mit dem Abbau unnötiger Doppelstru­kturen ließe sich tatsächlic­h viel Geld sparen.

Wie viel genau?

WASEM Da gilt das Motto des ehemaligen Gesundheit­sministers Horst Seehofer: Würde man alle Einsparpot­enziale zusammenzi­ehen, müsste das Gesundheit­ssystem sogar noch Geld abwerfen. Allerdings verweist die eine Seite dabei immer auf die andere. Was er damit sagen wollte: Am Ende ändert sich wenig bis nichts.

Das Gespräch führte SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

 ?? FOTO: UNI DUISBURG-ESSEN ?? Jürgen Wasem ist Gesundheit­sexperte an der Universitä­t DuisburgEs­sen.
FOTO: UNI DUISBURG-ESSEN Jürgen Wasem ist Gesundheit­sexperte an der Universitä­t DuisburgEs­sen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany