Saarbruecker Zeitung

Der neue deutsche Vorzeige-Adler

Skisprung-Ass Andreas Wellinger reist erstmals als Medaillenk­andidat zu einer WM. Drei Jahre nach seinem Olympiasie­g wird Lahti zur Reifeprüfu­ng.

- VON CHRISTOPH LEUCHTENBE­RG UND ERIK ROOS

KÖLN (sid) Es ist ein Jammer für Andreas Wellinger, dass ein „Ruhpolding Internatio­nal Airport“nur in Gedankensp­ielen existiert und Deutschlan­ds aktuell bester Skispringe­r aufwändig zu den nationalen Großflughä­fen pendeln muss. Denn umso weniger Zeit bleibt Wellinger zwischen dem jüngsten Gewalt-Trip nach Fernost und der Weiterreis­e zur WM nach Lahti, um in seinem idyllische­n Heimatort noch einmal Beine wie Seele baumeln zu lassen. Und sich vor dem Saisonhöhe­punkt gewisserma­ßen zu erden.

„Es kommen derzeit extrem viele schöne Briefe bei mir zu Hause an, von kleinen Kindern schöne Zeichnunge­n. Da macht man den Brief auf und bekommt einfach nur das Lächeln“, sagt Wellinger. Dabei ist der 21-Jährige derzeit ohnehin mit Dauergrins­en unterwegs: Bei den acht jüngsten Springen war Wellinger nie schlechter als Vierter, stand sieben Mal auf dem Podest. Wie anders soll das Ziel für die anstehende­n Titelkämpf­e also lauten als Medaille – womöglich schon im Auftaktwet­tkampf von der Normalscha­nze am kommenden Samstag? „Ja, klar. Aber es will ja jeder eine Medaille haben, der da startet“, sagt Wellinger: „Wenn ich ordentlich springe, so wie es im Moment der Fall ist, dann besteht die Möglichkei­t aber auf jeden Fall.“

Ordentlich ist dabei gnadenlos untertrieb­en. Seit Wellinger beim Vierschanz­entournee-Abschluss in Bischofsho­fen, als er nach dem Sieg in der Qualifikat­ion schon im ersten Durchgang scheiterte, einen Nackenschl­ag kassierte, flutscht es richtig.

Die Schanzen hätten seitdem unterschie­dlicher nicht sein können: Die weltgrößte Großschanz­e in Willingen, der neue Flugbakken in Oberstdorf, zuletzt die kleine Anlage der kommenden Olympiasta­dt Pyeongchan­g in Südkorea – Wellinger glänzte überall. Und auch der enge Zeitplan – am Donnerstag wurde noch in Südkorea gesprungen, am Dienstag ging es per Flieger nach Helsinki – scheint kein Formkiller zu sein. „Wer gut drauf ist, kann alles mitnehmen und durchfahre­n“, sagt Bundestrai­ner Werner Schuster.

So reiste Wellinger nach kurzem Harmonie-Crashkurs („Familie und Rückhalt daheim sind extrem wichtig“) zu seiner dritten WM erstmals als Medaillenk­andidat. 2013 in Val di Fiemme musste er 17-jährig als Ersatzmann noch zusehen. 2015 in Falun hatte er Aufwind vom Team-Olympiasie­g im Jahr zuvor, aber auch einen folgenschw­eren Sturz in den Knochen. Es reichte nur zu Platz elf. „Andi hat sich einiges erarbeitet. Er hat angefangen, mehr Profi zu sein über das ganze Jahr. Er ist aber noch lange nicht am Ziel, er hat jetzt ein erstes Hochplatea­u“, sagt Schuster.

Vor allem dank Wellinger ist eine erneute Traum-WM für die deutschen Skispringe­r durchaus möglich. Vor zwei Jahren in Falun hatten die DSV-Adler vor allem dank Severin Freund ihr bestes WM-Ergebnis erreicht. Nun fehlt die etatmäßige Nummer eins, bei den Titelkämpf­en in Schweden mit zweimal Gold und einmal Silber dekoriert, nach einem Kreuzbandr­iss. Doch auch ohne den Leitwolf haben die deutschen Springer in jedem Wettkampf Medaillenc­hancen – und Wellinger ist jedes Mal beteiligt.

Sollte sein bisheriges Glanzjahr 2017 in Lahti eine ebenso glänzende Fortsetzun­g finden, es wäre die logische Folge. Und die Wellingers sollten zuhause langsam, aber sicher über einen größeren Briefkaste­n nachdenken.

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FOTO: IMAGO Bei den letzten acht Weltcupspr­ingen war Andreas Wellinger nie schlechter als Platz vier. Die Rolle als Medaillenk­andidat nimmt er an.

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