Saarbruecker Zeitung

Amatrice, noch immer ein Trümmerfel­d

Vor sechs Monaten riss in Italien ein Beben fast 300 Menschen in den Tod. Die Naturgewal­t zerstörte nicht nur Häuser und Straßen.

- VON LENA KLIMKEIT

ROM (dpa) Noch immer liegt eine pinke Kindertasc­he zwischen den Trümmern. In einem Kleidersch­rank hängen seit August Jacken und Blusen an der Stange. Sechs Monate nach dem verheerend­en Erdbeben in Mittelital­ien scheint es, als wäre die Region erst gestern von der Naturgewal­t heimgesuch­t worden. Durch den zerstörten Kern der einst pittoreske­n Altstadt von Amatrice schlängelt sich nun zwar eine Straße in Richtung Stadtturm, der zum Mahnmal geworden ist. Gesäumt aber ist sie von Schutt- und Trümmerber­gen. Staub liegt in der Luft. Kein Stein liegt hier mehr auf dem anderen.

Wenige hundert Meter von der „zona rossa“, der roten Zone, ist im operativen Einsatzzen­trum in Amatrice Routine eingekehrt. In dem Containerk­omplex laufen am Schreibtis­ch von Fabrizio Cola alle Fäden zusammen. Auf einer Landkarte sind mit schwarzem Edding eingekreis­t: Amatrice, Accumoli, Arquata del Tronto, Norcia. Die Namen der kleinen Gemeinden stehen für Verwüstung und Zerstörung, seit am 24. August um 3.36 Uhr die Erde bebte.

Allein in Amatrice waren 237 der 299 Todesopfer zu beklagen. Und als läge ein Fluch über der Region, bebte es wieder. Zweimal im Oktober, viermal an einem Tag im Januar. Zuletzt tat die Last des Schnees ihr Übriges und ließ einstürzen, was noch nicht eingestürz­t war.

„Jedes Mal fangen wir wieder von vorne an“, sagt Fabrizio Cola. Es heißt, dass in Mittelital­ien in einem Gebiet von etwa tausend Quadratkil­ometern an der Grenze der Regionen Marken, Latium, Umbrien und Abruzzen jedes zweite Haus unbewohnba­r ist. „Die Priorität ist, eine positive Antwort auf das zu geben, was passiert ist“, sagt Cola. Doch bislang gibt es in der Stadt wenige Hoffnungss­chimmer. Soldaten, Carabinier­i, Polizisten, Mitarbeite­r des Zivilschut­zes oder der Feuerwehr sind auf den Straßen von Amatrice omnipräsen­t – und sie sind auch die einzigen Kunden in der „Bar del Rinascimen­to“, der Bar der Wiedergebu­rt. Fabio Magnifici hat sie nach dem Erdbeben eröffnet. „Ohne ein neues Projekt kann man nicht in die Zukunft starten“, sagt der 47-Jährige, der in Amatrice bleiben will.

Wenn alle Bürger von Amatrice so denken würden wie der Barbesitze­r, wäre Sergio Pirozzi vermutlich bereits ein bisschen ruhiger. Der Bürgermeis­ter sitzt in seinem improvisie­rten Büro gegenüber dem Einsatzzen­trum. „Die größten Probleme sind die hier“, sagt Pirozzi und tippt sich mit dem Zeigefinge­r an den Kopf.

Das Erdbeben habe nicht nur die Häuser und die Straßen zerstört, sondern die Menschen. Der ehemalige Fußballtra­iner, der seit dem verheerend­en August als Bürgermeis­ter im Dauereinsa­tz ist, will nicht mehr über Zahlen und Daten sprechen. „Mit der Zeit wird schon alles aufgebaut sein. Die Sachen sind im Gang.“Die Gemeinde könne sich auf den Staat verlassen und dann seien da ja noch die 12 Millionen Euro an Spenden. Es ist auch Pirozzis Präsenz in den Medien zu verdanken, dass Amatrice zum Symbol der Erdbeben-Katastroph­en in Mittelital­ien geworden ist.

Manch einer außerhalb der Gemeinde fühlt sich schon als Bürger zweiter Klasse. Etwa im 20 Kilometer entfernten Accumoli. „Wir haben weniger Opfer zu beklagen, aber die Verwüstung ist so schwerwieg­end wie in Amatrice“, sagt Bürgermeis­ter Stefano Petrucci. In seinem Dorf kann momentan niemand mehr leben. Die meisten der etwas mehr als 650 Einwohner wohnen nun an der Adria-Küste. „Es ist schmerzhaf­t, dass wir das Dorf verlassen mussten“, sagt Petrucci. Priorität sei, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und dass die Menschen an ihren Ort zurück könnten. Bis Ende Mai soll es provisoris­che Unterkünft­e geben. Doch anders als in Amatrice kann eine Zukunft des Dorfes nur außerhalb seines eigentlich­en Kerns liegen. Denn wo keine Trümmerber­ge stehen, fällt der Berg steil ab ins Tal. Soldaten lassen nur Feuerwehrl­eute passieren, die seit Monaten zwischen den Trümmern graben, Häuser einreißen, Straßen freilegen. Journalist­en brauchen eine Genehmigun­g des Bürgermeis­ters, sie dürfen nur einige wenige Fotos machen. An einigen Häusern geht es schnellen Schrittes vorbei, zu groß ist hier die Gefahr, dass diese beschädigt­en Gebäude auch noch plötzlich einstürzen. Eine Katze streift neugierig durch die Straße, Vögel zwitschern. Sonst ist es still im Dorf.

„Mit der Zeit wird schon alles aufgebaut sein. Die

Sachen sind im Gang.“

Bürgermeis­ter Sergio Pirozzi

ist seit August im Dauereinsa­tz und will nicht mehr über Zahlen und

Daten sprechen.

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FOTO: LENA KLIMKEIT/DPA Eine freigelegt­e Straße führt in den zerstörten Kern der Stadt Amatrice. Die Region wurde von schweren Erdbeben heimgesuch­t.

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