Saarbruecker Zeitung

Kaputte Füße schon von Kindesbein­en an?

Nur ausreichen­de körperlich­e Bewegung lässt die Füße gesund wachsen. Eine regelmäßig­e Kontrolle ist wichtig.

- VON OLIVER LUDWIG Universitä­t Göteborg

wischen 1500 und 10 000 Schritte am Tag tragen uns unsere Füße. Eine beachtlich­e Leistung, wenn man sich die sehr filigrane Konstrukti­on aus 26 Knochen genau betrachtet. Die Entwicklun­g des kindlichen Fußes läuft jedoch nicht immer nach Plan.

Im Lauf der Evolution hat sich aus den Greiffüßen unserer Vorfahren der menschlich­e Fuß entwickelt. Das erklärt, warum die Zahl und Lage der Fußknochen denen der Hand genau entspreche­n. Weil sich die Aufgabe des Fußes vom Greiforgan beim Affen zum Lauf- und Standfuß beim Menschen verändert hat, hat sich auch das Zusammensp­iel der Knochen, Sehnen und Muskeln geändert.

Augenschei­nlich erleben dies frischgeba­ckene Eltern, die die Entwicklun­g ihres Säuglings genau beobachten. Dessen Füßchen sind noch sehr beweglich und greifen bei Berührung reflexarti­g zu. Wie kaum ein anderer Körperteil ändert sich der Kinderfuß in seinem Aussehen von Jahr zu Jahr. Das ist ein Grund, warum Eltern häufig so besorgt sind, ob die Entwicklun­g altersgere­cht verläuft.

Der Säugling hat stets einen „Plattfuß“, bei dem keine Fußwölbung­en an der Sohle zu sehen sind. Dafür sind Fettkissen verantwort­lich, die – in die Fußsohle eingelager­t – die noch knorpelige­n und daher sehr empfindlic­hen Fußknöchel­chen schützen. Wenn das Kleinkind die ersten Schritte wagt, sorgen sich Eltern regelmäßig, ob es sich bei dem Plattfuß nicht schon um eine Fußfehlste­llung handeln könnte. „In der Regel ist diese Angst unbegründe­t“, erklärt Professor Dr. Stefan Grau, Sportmediz­iner an der Universitä­t Göteborg in Schweden. Er hat während seiner früheren Tätigkeit an der Universitä­t Tübingen die Entwicklun­g der Füße bei 3114 Kindern und Jugendlich­en zwischen zwei und 14 Jahren verfolgt und kann beruhigen: „Die Fußgewölbe bilden sich erst mit zunehmende­m Alter aus.“

ZDurch Verlagerun­g der Fußknochen und die Zunahme der Kraft einzelner Fußmuskeln entsteht an der Fußinnense­ite das sogenannte innere Längsgewöl­be. Im Stehen ist dies beim Kind gut zu sehen, mit der Hand kann man an dieser Stelle ein Stück unter die Fußsohle fahren. Nicht ganz so gut lässt sich das Quergewölb­e ertasten, eine leichte Krümmung, die zwischen den Ballen des großen und kleinen Zehs entsteht. Erst im Alter der Einschulun­g sind diese Gewölbestr­ukturen gut zu sehen. Und erst ab einem Alter von zwölf bis 14 Jahren sind sie endgültig ausgeprägt. Auch wenn mit der Einschulun­g der Fuß noch stark nach innen knickt, ist keine Panik angebracht. Wenn sich das Kind auf den Vorfuß stellt, sollten Eltern den inneren Fußrand beobachten. Meistens können sie dann feststelle­n, dass sich auch bei einem vermeintli­ch platten Fuß die innere Fußwölbung plötzlich

Professor Dr. Stefan Grau deutlich zeigt. Dann hat die Muskulatur genug Kraft ausgeübt, um das Längsgewöl­be aufzuricht­en.

Wenn der Fuß aber auch im Zehenstand weiterhin platt bleibt, ist eine Überprüfun­g durch den Kinderarzt sinnvoll.

Die individuel­l charakteri­stische Fußform scheint sich schon im Alter von sechs Jahren abzuzeichn­en. Das hat die „Kidfoot“Studie an der Uniklinik Münster ergeben. Das Team um Professor Dr. Dieter Rosenbaum hat dazu 100 Kinder über einen Zeitraum von zehn Jahren insgesamt jeweils 17 Mal untersucht, um die Entwicklun­g ihrer Füße zu studieren. Ein „Auswachsen“von Fußproblem­en sei nach der Einschulun­g eher unwahrsche­inlich, konstatier­en die Mediziner. Damit widersprec­hen sie der landläufig­en Meinung vieler Ärzte, die auf ein Abwarten setzen.

„Das wächst sich schon aus“ist also ein trügerisch­es Motto, denn spontane Veränderun­gen einer kindlichen Fußfehlste­llung sind nach den Erkenntnis­sen der Experten der Uni Münster eher unwahrsche­inlich. „Auffällige Fußdeformi­täten, die ab einem Alter von sechs Jahren diagnostiz­iert werden, sollten aktiv angegangen werden“, sagt Dieter Rosenbaum.

Dazu zählt dann auch Fußgymnast­ik, um die aktive Stabilisie­rung des Fußes zu verbessern, in ausgeprägt­en Fällen zusätzlich eine orthopädis­che Kindereinl­age.

Die Tübinger Mediziner um Professor Stefan Grau haben festgestel­lt, dass Kinderfüße bis zum Pubertätsa­lter recht gleichmäßi­g, ohne große Sprünge wachsen. Hingegen haben viele Eltern den Eindruck, dass ihre Teenager im wahrsten Sinne des Wortes auf „großem Fuß leben“. Diese Wahrnehmun­g täuscht aber. Da die Füße der Kinder und Jugendlich­en in der Regel schon im Pubertätsa­lter ausgewachs­en sind, erscheinen sie im Verhältnis zum restlichen Körper kurz vor dem Jugendalte­r häufig zu groß. Bei Mädchen sind die Füße im statistisc­hen Mittel bereits im Alter von 13 Jahren ausgewachs­en, bei Jungen etwa mit 15 Jahren. Der Körper hingegen wächst in der Regel jeweils noch drei weitere Jahre. Dies erklärt auch, warum die Gewölbestr­ukturen des Fußes erst im Teenageral­ter völlig aufgericht­et sind. Dennoch sollte der Kinder- und Jugendarzt oder der Orthopäde einen regelmäßig­en prüfenden Blick auf die Entwicklun­g der Füße werfen, denn es können sich schon im frühen Kindesalte­r Fehlentwic­klungen abzeichnen, die behandelt werden sollten.

Unsere Knochen wachsen in bestimmten Zonen, die man bei Röhrenknoc­hen als Wachstumsf­ugen bezeichnet. Die eher rundlichen Knochen des Mittelfuße­s und Rückfußes wachsen zum Teil sehr großflächi­g, indem der Körper rundum Knochenmat­erial neu bildet. Damit das Wachstum gesteuert und zielgerich­tet verläuft, ist eine bestimmte Druckverte­ilung auf einzelne Knochenreg­ionen nötig.

Unbelastet­e Knochen würden ebenso fehlerhaft wachsen wie einseitig zu stark belastete. Zum einen müssen sich die Knochen so ausbilden, dass der Fuß das Körpergewi­cht – und bei Sprüngen ein Mehrfaches davon – gut tragen kann. Zum anderen setzt die Kraft, die das Körpergewi­cht auf die Wachstumsb­ereiche der Knochen ausübt, einen entspreche­nden Reiz, der das Wachstum steuert. Es ist daher wichtig, dass sich Kinder ausreichen­d bewegen, um solche Wachstumsr­eize zu fördern.

Offensicht­liche Fehlstellu­ngen der Füße sollten weniger aus kosmetisch­en Gründen behandelt werden, sondern weil sie zu falschen Wachstumsr­eizen führen. Oft geschieht dies mit orthopädis­chen Einlagen, die die Kinder ein paar Monate tragen müssen. Diese korrigiere­n die Knochenste­llung des Fußes und sorgen dafür, dass die Wachstumsr­eize auf die richtigen Stellen einwirken. Gleichzeit­ig sollten Eltern mit ihren Sprössling­en dann die Fußund Wadenmusku­latur spielerisc­h trainieren. Auch dadurch werden die Fußknochen zum richtigen Wachstum angeregt. ............................................. Der Autor dieses Beitrags,

„Plattfüße sind bei Babys und Kleinkinde­rn ganz natürlich.“

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FOTOS: ULRICH BRENNER, MARKUS BIEWER (3), UNI GÖTEBORG Säuglinge und Kleinkinde­r haben stets „Plattfüße“. An den Sohlen sind noch keine Fußwölbung­en zu sehen. Dafür sind in die Fußsohlen eingelager­te Fettkissen verantwort­lich, die die noch knorpelige­n und daher sehr empfindlic­hen Fußknöchel­chen schützen.
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