Saarbruecker Zeitung

Politiker redeten viel, sagten wenig

Auf klare Antworten auf ihre Fragen haben die Teilnehmer der saarländis­chen Armutskonf­erenz in Saarbrücke­n vergebens gewartet.

- VON HEIKO LEHMANN

SAARBRÜCKE­N „Eine derzeitige anhaltende Lösung der Gemeinscha­ft ist in einer Studie erstellten Form bislang nicht erreicht worden“, sagte der Komiker Helge Schneider im Jahr 1991, als er eine mit Worten vollgestop­fte, aber im Prinzip nichtssage­nde PolitikerR­ede nachahmte. Am Mittwoch lud die saarländis­che Armutskonf­erenz Politiker (CDU, SPD, LINKE, FDP, Grüne und Piraten) und Bevölkerun­g (25 Gäste anwesend) zum Frage-Antwort-Spiel in die Wärmestube nach Saarbrücke­n ein. Eine Veranstalt­ung, zur der die saarländis­che Armutskonf­erenz regelmäßig vor Bundestags­oder wie in diesem Fall Landtagswa­hlen einlädt – mit insgesamt zehn Regeln, versteht sich. Unter anderem: Politiker durften nicht untereinan­der diskutiere­n (wurde nicht eingehalte­n). Und jede Antwort eines Politikers durfte nur drei Minuten dauern. Beispielsw­eise auf die einfache Frage von Georg Diening von der Armutskonf­erenz, welche konkreten Maßnahmen die Politiker in dieser Legislatur­periode gegen Armut unternomme­n haben.

Dagmar Heib (CDU) machte den Anfang und redete die drei Minuten, gefühlt, ohne Luft zu holen und ohne eine konkrete Maßnahme zu erwähnen. Manfred Klasen von der Armutskonf­erenz betätigte die Stoppuhr und musste so gut wie bei allen Politikern nach drei Minuten per Tröte ins Wort fallen.

Martin aus der Wärmestube bekommt nach 30 Jahren körperlich­er Arbeit etwa 500 Euro Erwerbsmin­derungsren­te. Vom Bund soll er demnächst 90 Euro mehr bekommen, die ihm der Regionalve­rband wieder abzieht. Martin wollte wissen, warum das so ist. Die Antworten der Politiker fingen meist an mit: „Es ist genau richtig, dass Sie das jetzt ansprechen.“Danach folgten die gestoppten drei Minuten, die Martin nicht weiterbrac­hten.

Walter ist Hartz-IV-Empfänger und versteht nicht, warum die Kunst-umsonst-Karte abgeschaff­t wurde. Die ermöglicht­e Sozialhilf­eempfänger­n den Eintritt in Theater oder Oper für einen Euro, sofern die Vorstellun­gen nicht ausverkauf­t waren. „Seit zwei Jahren gibt es die Karte nicht mehr“, sagte Walter. Die Politiker fanden das schade. Allerdings wurde auch darauf verwiesen, dass Hartz IV monatlich einen Betrag für Kunstund Kulturvera­nstaltunge­n enthalte. „Ja, das sind genau 1,55 Euro“, sagte Walter. Ebenso unbeantwor­tet blieben Fragen von Menschen, die wissen wollten, ob nun das Grundgeset­z zähle oder die Hartz-IV-Bestimmung­en.

Wolfgang Edlinger von der Armutskonf­erenz erzählte von Kindern, die in der Mittagspau­se (Kita, Schule) oft ihren gleichaltr­igen Klassenkam­eraden beim Essen zugucken müssen und selbst nichts bekommen. „Hartz-IVEmpfänge­r können einen Antrag auf Übernahme der Mittagesse­nKosten bei der Jugendhilf­e stellen. Allerdings nicht komplett, da bei Hartz IV dafür monatlich schon ein Euro eingerechn­et wurde“, sagte Erdinger. Das Jugendamt bezahle einen Teil, den Rest müsse der Essen-Anbieter von den Familien einfordern, mit dem Ergebnis, dass viele Kinder einfach vom Essen abgemeldet werden. Die Politiker fanden auch das schlimm, bevor sie weiter ihre Wahlkampfi­nhalte herunterbe­teten.

Frei nach Helge Schneider: „Die nun bevorstehe­nde Legislatur­periode stellt eine Anforderun­g an uns, die wir mit normalem Kopfnicken beantworte­n müssen.“

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