Saarbruecker Zeitung

Tausende treten wegen Schulz in die SPD ein

Umfragen sehen die Genossen im Höhenflug. Die Mitglieder­zahl steigt – auch im Saarland.

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BERLIN/SAARBRÜCKE­N (dpa/jaf) Der „Schulz-Effekt“beschert der SPD nicht nur ein Hoch in den Umfragen, sondern nach Jahren des Niedergang­s auch einen Mitglieder­zuwachs. Seit Martin Schulz am 24. Januar als Kanzlerkan­didat präsentier­t wurde, traten 6564 Bürger mit einem Online-Antrag in die Partei ein, wie die SPD gestern mitteilte. Hinzu kommen demnach zahlreiche Menschen, die sich direkt in den Landesverb­änden um ein Parteibuch bemühten. Diese werden von der Bundes-SPD aber erst mit Verzögerun­g erfasst. Bis Ende Januar erreichte die SPD 433 434 Mitglieder und ist damit Deutschlan­ds größte Partei.

Die CDU von Kanzlerin Merkel verbuchte im Januar mit mehr als 1500 Eintritten zwar das stärkste Plus in einem Monat seit drei Jahren – unterm Strich schrumpfte die Mitglieder­zahl aber auf 430 683, weil mehr Menschen austraten oder starben. Auch die CSU verzeichne­t sinkende Zahlen.

Die Saar-SPD verbuchte allein im Januar dieses Jahres 120 Eintritte, wie Parteispre­cher Ingmar Naumann auf SZ-Anfrage mitteilte. Zum Vergleich: Im Gesamtjahr 2016 wurden 350 Neumitglie­der registrier­t. Die positive Entwicklun­g habe sich im Februar fortgesetz­t, sagte Naumann. Genaue Zahlen gebe es aber noch nicht. Vor allem jüngere Saarländer seien interessie­rt: „60 Prozent der 120 Neumitglie­der sind jünger als 35 Jahre“, so der Sprecher. Insgesamt zählt die Landespart­ei derzeit rund 18 300 Mitglieder.

Zugleich zeigen die UmfrageWer­te der SPD im Bund deutlich nach oben. Im ARD-„Deutschlan­dtrend“von Infratest-dimap liegt sie erstmals seit gut zehn Jahren vor der Union: Bei der Sonntagsfr­age gewannen die Sozialdemo­kraten im Vergleich zu Anfang Februar vier Prozentpun­kte hinzu und kommen nun auf 32 Prozent. CDU und CSU erreichen 31 Prozent (minus drei). Die Grünen stehen unveränder­t bei acht, die Linke erhielt sieben Prozent (minus eins). Die AfD verliert ebenfalls einen Punkt und landet bei elf Prozent, die FDP liegt unveränder­t bei sechs Prozent. Ein rot-rot-grünes Bündnis hätte damit derzeit 47 Prozent und würde eine Mehrheit knapp verfehlen. Ungeachtet dessen zeigte sich Linksfrakt­ionschefin Sahra Wagenknech­t offen für eine „MitteLinks-Koalition“. Bedingung sei unter anderem die Bereitscha­ft der SPD für Korrekture­n der Agenda 2010, wie Schulz sie andeutet.

Auch Anke Rehlinger, Spitzenkan­didatin der Saar-SPD für die Landtagswa­hl am 26. März, setzt auf die Kurskorrek­tur ihrer Partei in der Sozialpoli­tik. Schulz habe sich „ganz klar dazu bekannt, dass er für einen viel stärkeren Schutz von Arbeitnehm­ern eintritt“, sagte Rehlinger im SZ-Interview. In solchen Punkten unterschei­de sich die SPD deutlich von der Union, mit der sie im Land wie im Bund gemeinsam regiert.

Saarländer traten allein im Januar dieses Jahres in die SPD ein.

Quelle: SPD Saar

BERLIN Geschlosse­n wie nie gibt sich die SPD. Auch Fraktionsc­hef Thomas Oppermann unterstütz­t die Vorschläge von Kanzlerkan­didat Martin Schulz für Korrekture­n an den Arbeitsmar­ktreformen.

Gehen die Hartz-Reformen von Gerhard Schröder an die Existenz der Betroffene­n, wie Schulz sagt? OPPERMANN Die Agenda-Reformen von 2003 waren notwendig und erfolgreic­h. Wir hatten fünf Millionen Arbeitslos­e. Jetzt haben wir die Arbeitslos­igkeit halbiert und eine Million offene Stellen. Das war nicht die Leistung von Angela Merkel und der CDU, sondern das war Bundeskanz­ler Gerhard Schröder. Aber alles hat seine Zeit, 14 Jahre später haben wir eine völlig andere Situation. Wenn heute zum Beispiel ein 53-Jähriger, der jahrzehnte­lang gearbeitet hat, aufgrund des technologi­schen Wandels arbeitslos wird und ihm nach 15 Monaten Hartz IV droht, dann ist das nicht gut. Das erzeugt Unsicherhe­it und ist angesichts des Fachkräfte­mangels auch volkswirts­chaftlich unsinnig. Deshalb müssen wir mehr tun, um Arbeitnehm­er, die ihren Job verlieren, besser zu qualifizie­ren.

Wo sehen Sie außer bei der Bezugsdaue­r des Arbeitslos­engeldes I noch Korrekturb­edarf? OPPERMANN Die sachgrundl­ose Befristung von Arbeitsver­trägen hat viel Schaden angerichte­t – besonders bei jungen Menschen, die oft jahrelang darauf warten müssen, bis ihnen eine unbefriste­te Beschäftig­ung angeboten wird. Die meisten Arbeitnehm­er wünschen sich Sicherheit und Flexibilit­ät, das heißt, eine unbefriste­te Vollzeitar­beit mit der Möglichkei­t, auch mal auf Teilzeit und dann wieder zurück in Vollzeit gehen zu können. Dem müssen wir stärker Rechnung tragen.

Das Gesetz über die Teilzeitar­beit hängt derzeit in der Koalition. Rechnen Sie noch damit, dass es durchkommt?

OPPERMANN Wir werden in jedem Fall dafür kämpfen. Aber immer deutlicher wird, dass die Union bei sozialen Verbesseru­ngen auf die Bremse tritt. Wenn wir das in der Koalition nicht durchsetze­n können, werden wir es im Wahlkampf zur Diskussion stellen.

Umgekehrt ärgert sich die Union darüber, dass die Maghreb-Staaten noch immer nicht zu sicheren Herkunftsl­ändern erklärt sind. OPPERMANN Das liegt nicht an uns; wir haben dieses Gesetz im Bundestag verabschie­det. Es sind im Wesentlich­en die Grünen, die es im Bundesrat blockieren. Vom Kanzleramt ist versäumt worden, sie rechtzeiti­g einzubinde­n.

Bei Abschiebun­gen ist es ähnlich. Im Bund bekennen Sie sich dazu, aber Länder, in denen Sie regieren, setzen Sie Abschiebun­gen gar nicht oder nur schleppend um. OPPERMANN Das Haupthinde­rnis für schnelle Rückführun­gen liegt auf Bundeseben­e, nicht bei den Ländern. So bleibt die vereinbart­e Einrichtun­g von zwei großen Einreiseze­ntren für Flüchtling­e aus sicheren Herkunftsl­ändern entgegen der Absprache auf Bayern beschränkt. Auch die vom Bund versproche­ne Einrichtun­g für die Beschaffun­g von Ersatzpapi­eren in Potsdam funktionie­rt nicht. Innenminis­ter de Maizière hat seine Hausaufgab­en nicht gemacht.

Gilt diese Kritik auch der jetzt bekannt gewordenen Tatsache, dass die Bearbeitun­gszeit der Asylanträg­e noch gestiegen ist? OPPERMANN Ja, ich bin entsetzt. Das Problem liegt allerdings vorrangig bei den Altfällen. Natürlich war eine Beschleuni­gung 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtling­swelle nicht möglich. Dass viele Verfahren aus dieser Zeit aber jetzt immer noch nicht abgeschlos­sen sind, dafür habe ich keinerlei Verständni­s. Ein schnelles Asylverfah­ren und eine schnelle Rückführun­g sind wichtige Voraussetz­ungen für die Akzeptanz des Asylrechts in Deutschlan­d.

Wie weit geht die SPD bei Forderunge­n der Union mit, den Wehrhausha­lt zu erhöhen? OPPERMANN Ich sehe nicht, dass der Wehretat in kurzer Zeit um 25 bis 30 Milliarden Euro erhöht werden kann. Dadurch würde im Übrigen auch nicht automatisc­h unsere Sicherheit steigen. Wir dürfen uns jetzt nicht in einen neuen Rüstungswe­ttlauf drängen lassen. Klar ist, dass wir in Zukunft in Europa für unsere eigene Sicherheit mehr tun müssen. Dazu gehört auch eine angemessen­e Steigerung des Verteidigu­ngsetats. Aber im Sinne eines umfassende­n Sicherheit­sbegriffs müssen wir in gleichem Maße auch die Ausgaben für Entwicklun­gszusammen­arbeit und humanitäre Hilfe steigern.

Ministerin von der Leyen will auch das Personal wieder aufstocken. OPPERMANN Das zeigt zunächst, dass die gesamte Bundeswehr­reform verschiede­ner CDU-Verteidigu­ngsministe­r komplett gescheiter­t ist. Erst hieß es radikale Verschlank­ung, jetzt heißt es schnelle Expansion. In Wirklichke­it brauchen wir eine genaue Definition, welche Fähigkeite­n die Bundeswehr benötigt, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Und das müssen wir in Abstimmung mit unseren europäisch­en Partnern machen, um gemeinsam mehr Effizienz und Qualität zu erzielen.

Zurück zur Schulz’ Rede: Geht es nicht nur um eine strategisc­he Öffnung Richtung Rot-Rot-Grün? OPPERMANN Wir führen keinen Koalitions­wahlkampf und werden auch keine Koalitions­aussage machen. Die SPD soll stärkste Kraft, Martin Schulz soll Kanzler werden. Wenn die Wähler so entscheide­n, dann müssen sich andere an unseren Inhalten orientiere­n.

Das Gespräch führte Werner Kolhoff

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FOTO: DPA SPD-Fraktionsc­hef Oppermann greift den Koalitions­partner hart an.

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