Saarbruecker Zeitung

Merkel soll beim Heimspiel angreifen

ANALYSE Die Kanzlerin wird heute in Mecklenbur­g-Vorpommern Spitzenkan­didatin der CDU. Die AfD ist ihr dort auf den Fersen. Hauptthema ist aber Martin Schulz.

- VON FRANK PFAFF Politologe

STRALSUND/SPAROW (dpa) - Angela Merkel steht unter Zugzwang. Von links erhöht die SPD sieben Monate vor der Bundestags­wahl den Druck. Seit sie Martin Schulz als Kanzlerkan­didaten nominiert haben, marschiere­n die Sozialdemo­kraten mit Riesenschr­itten aus dem ewigen Umfragetie­f und liegen auf Augenhöhe mit der Union. Der drohen zudem mehr Wähler als noch 2013 an die AfD verloren zu gehen. Das schürt Unruhe bei CDU und CSU.

Immer lauter werden daher die Forderunge­n, die Kanzlerin und CDU-Bundesvors­itzende möge doch endlich in den Wahlkampfm­odus schalten und auch emotionale­r um Wähler werben. So richtet sich nun alle Aufmerksam­keit auf Stralsund, wo die CDU Mecklenbur­g-Vorpommern­s heute ihre Kandidaten­liste für die Bundestags­wahl aufstellen und Merkel erneut zu ihrer Spitzenkan­didatin wählen will. Von der Kanzlerin wird bei ihrem Auftritt in der Provinz Klartext erwartet.

Klartext, darauf setzt auch die AfD, die – offenbar wohlkalkul­iert – ebenfalls am Wochenende ihren Spitzenkan­didaten in Mecklenbur­g-Vorpommern wählen wird. Landespart­eichef Leif-Erik Holm will die AfD im Nordosten in den Wahlkampf führen und Merkel das Direktmand­at in ihrem angestammt­en vorpommers­chen Wahlkreis 15 streitig machen. Der 46-jährige frühere Radiomoder­ator dürfte sich bewusst sein, dass ihm der AfD-Nominierun­gsparteita­g im Dörfchen Sparow, nur einen Tag nach der CDU-Vertreterv­ersammlung, besondere Medienaufm­erksamkeit verschafft.

Die AfD hatte bei der Landtagswa­hl im September 2016 in Mecklenbur­g-Vorpommern 20,8 Prozent der Stimmen erreicht und damit als zweitstärk­ste Kraft nach

Martin Koschkar der SPD die CDU bundesweit erstmals hinter sich gelassen. In drei Wahlkreise­n nahm sie der CDU zudem die Direktmand­ate ab. Für den CDU-Landesverb­and, der viele Jahre von Angela Merkel geführt wurde und in dem sie bis heute ihre politische Heimat hat, war das eine besonders schmerzlic­he Erfahrung.

Der scheidende CDU-Landespart­eichef Lorenz Caffier gibt sich dennoch zuversicht­lich, dass sich das schlechte Ergebnis bei der Bundestags­wahl nicht wiederholt. Er setzt dabei auf die Zugkraft Merkels, die den Menschen gerade auch in den gegenwärti­g schwierige­n Zeiten Halt und Orientieru­ng gebe.

Der Rostocker Politikwis­senschaftl­er Martin Koschkar bezweifelt, dass AfD-Mann Holm Merkel in ihrem Wahlkreis wirklich ernsthaft gefährden kann. „Viel spannender ist ohnehin, welche Antworten Merkel auf Martin Schulz geben wird.“

Nach Ansicht des Politologe­n gibt es in der Vergangenh­eit kein anderes Beispiel für einen so kurzfristi­gen, mit einer Person verbundene­n Stimmungsa­ufschwung für eine Partei wie nun bei Schulz. „Man könnte fast von einer Wechselsti­mmung sprechen“, meint Koschkar, räumt aber ein, dass in den kommenden sieben Monaten noch viel passieren könne.

Ein langfristi­ges Hoch für ihren Koalitions­partner SPD wird die Kanzlerin um jeden Preis verhindern und wieder mehr Abstand herstellen wollen. Heute in Stralsund muss sie zunächst ihre Basis hinter sich bringen. Das dürfte nicht schwer fallen, hatten ihr doch selbst die Gegner ihrer umstritten­en Flüchtling­spolitik bei der Wahlkreisn­ominierung Ende Januar volle Unterstütz­ung im Wahlkampf zugesicher­t. Sie wollen, dass Merkel im September zum achten Mal in Folge ihren Wahlkreis in Vorpommern gewinnt, die Union zum Wahlsieg führt und Kanzlerin bleibt.

„Man könnte fast von einer Wechselsti­mmung

sprechen.“

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