Saarbruecker Zeitung

Streit um geplanten Atommüll auf dem Neckar

- VON WOLFGANG JUNG Produktion dieser Seite: Jörg Wingertsza­hn Jana Freiberger

OBRIGHEIM (dpa) Es ist der letzte Test vor dem Ernstfall: In grellen Signalwest­en sichern Arbeiter den bulligen Castor-Behälter, der auf einem asphaltier­ten Feldweg das AKW Obrigheim verlässt. Der Container für Atommüll rollt langsam Richtung Neckar, dort schiebt eine Zugmaschin­e die 96 Tonnen schwere Konstrukti­on auf das Schiff „Lastdrager 40“. Krächzend kommt aus dem Funkgerät eine Bestätigun­g.

Diesmal ist der Behälter leer, es ist ein Probelauf. Aber schon bald soll am unteren Neckar – und damit erstmals in Deutschlan­d – Atommüll auf einem Fluss transporti­ert werden. Umweltschü­tzer laufen Sturm dagegen. Auf die Barrikaden treibt sie dabei auch ein Satz von Jörg Michels. Der Chef der Kernkraft GmbH des Energiever­sorgers EnBW hatte das Schiff mit den Castoren als „praktisch unsinkbar“bezeichnet.

„Auch ein Probelauf ändert nichts daran, dass der Transport auf dem Wasser die riskantest­e Variante ist“, meint die Landesvors­itzende des Umweltverb­andes BUND, Brigitte Dahlbender. Atommüll sei hoch radioaktiv. „Ein gekenterte­s Schiff kann nicht einfach so geborgen werden. Ein Unfall betrifft viele Kilometer Wasser und Tausende Menschen“, sagt Dahlbender. Die Aktivisten wollen an diesem Samstag in Heilbronn gegen das Vorhaben demonstrie­ren.

Michels hält die Kritik für nicht gerechtfer­tigt. „Das ist ein erprobtes Verfahren und eine bewährte und sichere Technik“, sagt der Diplominge­nieur. An der Anlage Obrigheim lagern derzeit insgesamt 342 Brenneleme­nte. Eigentlich ist dafür der Bau eines eigenen Zwischenla­gers an dem abgeschalt­eten AKW nötig. Allerdings befindet sich etwa 50 Kilometer entfernt, in Neckarwest­heim, ein Zwischenla­ger, in dem noch Platz wäre für die Fracht aus Obrigheim.

„Wir könnten die gesamten Brenneleme­nte aus Obrigheim in 15 Castoren nach Neckarwest­heim schicken“, sagt Michels. Bei drei Castoren pro Transport wären dies fünf Fahrten. „Ein weiteres Zwischenla­ger wird damit vermieden, und der Rückbau von Obrigheim kann schneller erfolgen“, argumentie­rt er. Der Transport auf dem Flussweg muss aber erst noch vom Bundesamt für kerntechni­sche Entsorgung­ssicherhei­t (BfE) genehmigt werden. Michels erwartet die Erlaubnis noch 2017.

Für die Organisato­ren ist ein Hauptgrund für den Wasserweg, dass damit „negative Auswirkung­en auf den öffentlich­en Verkehr vermieden“werden. „Es gibt keine direkte Zugverbind­ung zwischen Obrigheim und Neckarwest­heim, damit scheidet der Schienenwe­g aus“, sagt Michels. Auch die Straße sei problemati­sch. „Es gäbe viele Sperrungen und Staus, da ist der Neckar sinnvoller.“Der geplante Transport durch die Firma Nuclear Cargo & Service aus Hessen, die auch die Haftung übernehme, koste einen „unteren zweistelli­gen Millionenb­etrag“.

Begleiten sollen die Überführun­g etwa 80 Arbeiter und zahlreiche Polizisten. Immer wieder hatten Aktivisten in den vergangene­n Jahren in Deutschlan­d gegen Castor-Transporte auf der Schiene oder auf der Straße protestier­t. Gelegentli­ch kam es zu Ausschreit­ungen. Auf dem Weg nach Neckarwest­heim gibt es immerhin 23 Brücken und sechs Schleusen.

„Wir haben eine Vorbereitu­ngsgruppe gegründet und bereits einige Szenarien geübt“, sagt Thomas Mürder, Präsident des zuständige­n Polizeiprä­sidiums in Göppingen. „Falls der Transport gestört wird, werden wir dagegen vorgehen“, warnt er. Mürder will auch einen Helikopter einsetzen und zudem soziale Netzwerke im Blick behalten. Die Vorbereitu­ngen laufen derweil weiter, damit der geplante Transport nocht 2017 über die Bühne gehen kann.

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