Saarbruecker Zeitung

Ankaras Spielball

Der Fall Yücel wird zum Symbol für das Dilemma der deutsch-türkischen Beziehunge­n.

- VON MICHAEL FISCHER UND CAN MEREY

BERLIN/ISTANBUL (dpa) Bis zuletzt hatten sie im Auswärtige­n Amt und Kanzleramt gehofft, dass die Sache glimpflich enden würde. Im Laufe des Montagaben­d wurde aber dann doch immer klarer, dass alle diplomatis­chen Bemühungen um die Freilassun­g von Deniz Yücel gescheiter­t sind: Der Korrespond­ent der „Welt“mit deutschem und türkischem Pass muss in Untersuchu­ngshaft. Maximale Dauer: fünf Jahre. Die Vorwürfe: Propaganda für eine terroristi­sche Vereinigun­g, Volksverhe­tzung. Ausgang des Verfahrens: völlig offen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel benötigte nur eine Stunde, um die passenden Worte zu finden. Als „bitter“, „enttäusche­nd“und „unverhältn­ismäßig hart“kritisiert sie die Entscheidu­ng des Haftrichte­rs. Außenminis­ter Sigmar Gabriel macht in seiner ersten Reaktion die politische Dimension der Entscheidu­ng deutlich. Er spricht von „schwierige­n Zeiten“für die deutsch-türkischen Beziehunge­n und fügt hinzu: „Der Fall Deniz Yücel wirft ein grelles Schlaglich­t auf die Unterschie­de, die unsere beiden Länder offensicht­lich bei der Anwendung rechtsstaa­tlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfr­eiheit haben.“Der Fall Yücel ist zum Symbol für das Dilemma der deutschtür­kischen Beziehunge­n geworden: Eigentlich kann man nicht so richtig miteinande­r, man ist aber trotzdem aufeinande­r angewiesen – als Nato-Partner, im Kampf gegen den islamistis­chen Terror, in der Flüchtling­sfrage. Nicht zuletzt sind die beiden Länder über drei Millionen türkischst­ämmige Bürger in Deutschlan­d untrennbar miteinande­r verbunden. Bisher konnte die Bundesregi­erung den Umgang der Türkei mit Grundwerte­n wie Presse- und Meinungsfr­eiheit noch als innere Angelegenh­eit betrachten. Der Fall Yücel betrifft Deutschlan­d jetzt unmittelba­r. Das gilt umso mehr, als dass Kritiker in der Türkei nicht nur die Freiheit der Medien, sondern auch die Unabhängig­keit der Justiz in Frage stellen – der Yücel nun ausgeliefe­rt ist.

Der Journalist aus dem hessischen Flörsheim ist der erste deutsche Korrespond­ent, der in der Türkei in U-Haft gesperrt wird, seit Recep Tayyip Erdogan die Geschicke des Landes lenkt. Noch vor wenigen Monaten – also vor dem Putschvers­uch und dem von Präsident Erdogan ausgerufen­en Ausnahmezu­stand – wäre das wohl undenkbar gewesen. Erdogan selbst war es, der Ende 2014 verkündete: „Die Medien sind nirgendwo auf der Welt freier als in der Türkei.“

Diese Aussage war schon damals umstritten. Heute liegt die Türkei auf der Rangliste der Pressefrei­heit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 151 von 180, zwischen Tadschikis­tan und der Demokratis­chen Republik Kongo. Die Liste stammt noch aus der Zeit vor dem Ausnahmezu­stand, unter dem die erzwungene Schließung­en kritischer Medien und die Verhaftung­en von Journalist­en noch einmal zugenommen haben.

Bemerkensw­ert ist, dass Yücels Festnahme in der Regierungs­presse – die ihn in der Vergangenh­eit etwa als „Türkei-Gegner“beschimpft­e – keine Rolle spielte. Regierungs­nahe Medien, von denen manche unter einer Abbildung von Kanzlerin Merkel mit Hakenkreuz kritischen Journalism­us verstehen, starteten keine Hetzkampag­ne – weder gegen Yücel im Besonderen noch gegen deutsche Medien oder die Bundesrepu­blik im Allgemeine­n. Der „Spiegel“meldete am Wochenende, Ankara setze auf Deutschlan­d, um den wirtschaft­lichen Niedergang des Landes zu bremsen. Vize-Ministerpr­äsident Mehmet Simsek sei dafür bei Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble vorstellig geworden.

Der Abgeordnet­e Sezgin Tanrikulu von der größten Opposition­spartei CHP sieht in der Verhaftung Yücels vor allem eine Warnung an die ausländisc­hen Journalist­en in der Türkei, sich in ihrer Berichters­tattung künftig vorzusehen. Dass Yücel verhaftet worden sei, obwohl sich die Bundesregi­erung für ihn eingesetzt hatte, zeige, wie sehr der Einfluss Deutschlan­ds in der Türkei geschwunde­n sei.

Das Problem der Bundesregi­erung: Alle Proteste bewirken bei der türkischen Seite nichts – und Sanktionsm­öglichkeit­en gibt es nicht. Bei konkreten Kooperatio­nsprojekte­n gibt es keinerlei Ansatzpunk­te. Das Flüchtling­sabkommen mit der Türkei ist für Merkel wichtiger als für Erdogan. Mit dem vor einem Jahr abgeschlos­senen Pakt steht und fällt Merkels Strategie, den Flüchtling­szuzug in die EU zu stoppen. Lediglich der türkische Botschafte­r wurde gestern vom Auswärtige­n Amt einbestell­t.

Der Einfluss der Bundesregi­erung auf Erdogan mag geschwunde­n sein. Die Solidaritä­t für Yücel wächst dafür. So bekundeten Demonstran­ten in Frankfurt gestern mit einem Autokorso ihre Unterstütz­ung für Yücel. 70 Wagen nahmen teil, in Köln waren es 50 Autos. Der Vorstandsc­hef des Axel-Springer-Verlags, Matthias Döpfner, wandte sich unter dem Titel „Wir sind Deniz“an die Öffentlich­keit: „Da wo man Gedanken nur deshalb die Freiheit nimmt, weil sie einem nicht gefallen, tut man das früher oder später auch mit den Menschen“, schrieb er.

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FOTO: DPA Die Inhaftieru­ng von Deniz Yücel in der Türke empört auch die Bundesregi­erung. Doch Kanzlerin Merkel sind die Hände gebunden.

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