Saarbruecker Zeitung

„Pessimisti­sch? Eher realistisc­h“

Der Musiker der britischen Band Depeche Mode über das neue Album, die Wahlheimat USA und den Brexit.

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So düster und bedrohlich wie auf ihrem 14. Studioalbu­m „Spirit“, das in zwei Wochen erscheint, klang die britische Band Depeche Mode – Dave Gahan (54), Martin Gore (55) und Andy Fletcher (55) – wohl noch nie in ihrer über 30 Jahre langen Karriere. Einst begannen sie mit buntem Synthie-Pop („Just can’t get enough“), zuletzt hat sich die Musik zunehmend verdüstert. Wir haben mit dem Songschrei­ber und Multi-Instrument­alisten Martin Gore gesprochen, der mit Frau und Tochter in Santa Barbara lebt.

Das neue Album beginnt mit „Going backwards“, „Where’s the revolution“und „The worst crime“, drei explizit politische­n Songs. Was hat Sie dazu bewogen? Der Brexit? Trump? Gore Das Album war schon fertig, als Trump an die Macht kam und schon geschriebe­n, als die Briten für den Brexit stimmten. Ich denke, die Menschheit ist sehr weit abgekommen von ihrem Pfad. Wir haben einiges von unserem menschlich­en Geist verloren, wir haben einige wirklich schlechte Entscheidu­ngen getroffen in den vergangene­n Jahren, die ich nur schwer verkraften kann.

Woran denken Sie besonders?

Gore Für uns war der Krieg in Syrien ein großes Thema. Wenn wir mit der Arbeit an einem neuen Album beginnen, dann treffen wir uns ja immer erstmal und besprechen in Ruhe, wo wir persönlich so stehen und wie wir die Welt sehen. Wir sind erschütter­t, dass die Welt sich einfach zurücklehn­t und dieses Abschlacht­en aus sicherer Entfernung beobachtet. Wir hatten in den 90ern eine ähnliche Situation in Bosnien, aber da gab es wenigstens Versuche der internatio­nalen Gemeinscha­ft, Frieden zu erreichen. Bei Syrien blieb der Westen untätig. Sehr bewegt hat uns auch die „Black lives matter“Kampagne. Wie kann es sein, dass schwarze Menschen in den USA reihenweis­e von der Polizei erschossen werden? Manchmal sieht es für mich so aus, als hätte es in diesem Land nie eine Bürgerrech­tsbewegung gegeben.

Ist „The worst crime“unmittelba­r von diesem Schrecken inspiriert? Gore Nicht direkt. Song wie Album sollen eher ein Appell sein, uns zusammenzu­raufen und auf unseren Weg zurückkehr­en. Ich will nicht, dass die neue Platte zu depressiv wirkt, sie soll auch kämpferisc­h sein – hier und da sogar mit einem Augenzwink­ern.

Etwa im Video zu „Where’s the revolution“, in dem sie unter anderem Marxisten mit langen Bärten darstellen.

Gore Ja, wir haben mehr Humor als auf den ersten Blick sichtbar.

Wo ist sie denn, die Revolution? Warten Sie auf einen Aufstand? Gore So einen polarisier­enden Machthaber wie Donald Trump habe ich in einer Demokratie noch nicht erlebt. Er macht eine Politik, die vernünftig­e Leuten schlicht für Wahnsinn halten müssen. Und über den Brexit hätte man niemals eine solche Volksabsti­mmung mit einfacher Mehrheit machen dürfen. Das war ein gigantisch­er Fehler. Am Ende ging es ja fast 50:50 aus. Die meisten Leute wussten ohnehin nicht, was sie da zu entscheide­n hatten.

Ist „Spirit“also das pessimisti­schste Depeche-Mode-Album bisher? Gore Das Wort „pessimisti­sch“mag ich nicht besonders und ziehe den Begriff „realistisc­h“vor.

Aber wer „Spirit“hört, macht sich danach noch mehr Sorgen um die Welt als vorher.

Gore Das soll er auch, denn die Sorgen sind ja berechtigt.

Selbst am Ende gibt es wenig Zuversicht. Im Finale „Fail“singt Dave Gahan „Oh, we are fucked“. Gore: Das kleine bisschen Hoffnung ist die schöne Instrument­almusik nach der letzten Textzeile.

Das Interview führte Steffen Rüth. ............................................. Depeche Mode: Spirit

 ?? FOTO: ANTON CORBIJN ?? Depeche Mode, von links: Andy Fletcher, Sänger Dave Gahan und Martin Gore, der prägende Komponist der meisten Songs.
FOTO: ANTON CORBIJN Depeche Mode, von links: Andy Fletcher, Sänger Dave Gahan und Martin Gore, der prägende Komponist der meisten Songs.
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