Saarbruecker Zeitung

„Zehn Krankenhäu­ser würden reichen“

Die Geschäftsf­ührerin des Klinikums Saarbrücke­n auf dem Winterberg erklärt, warum es zu viele Kliniken und zu wenig Pflegekräf­te gibt.

-

Für mehr Personal in den saarländis­chen Krankenhäu­sern haben vergangene Woche in Saarbrücke­n 3000 Menschen demonstrie­rt. Die Lage sei wirklich schwierig, sagt Klinik-Chefin Susann Breßlein.

Frau Breßlein, ständig ist von einem „Pflegenots­tand“in den saarländis­chen Krankenhäu­sern die Rede. Das klingt so, als müsste man als Patient Angst haben, wenn man ins Krankenhau­s kommt. Wie schlimm ist die Situation? BRESSLEIN Patienten müssen keine Angst haben. Aber die Situation ist schon schlimm. Zunächst einmal, weil wir gar nicht mehr genügend junge Menschen haben, die sich für die Ausbildung interessie­ren. Das ist auch kein Wunder. Seit Jahren wird immer nur gesagt: Die Pflege liegt am Boden, sie wird schlecht bezahlt, es gibt keine geregelten Dienstzeit­en.

Ist das denn alles falsch? BRESSLEIN Nein, aber man muss gleichzeit­ig auch sagen, wie schön, abwechslun­gsreich, verantwort­ungsvoll und zukunftssi­cher dieser Beruf ist! Dennoch fehlen Pflegekräf­te auf dem Arbeitsmar­kt. Das Klinikum Saarbrücke­n hatte 2016 im ersten Halbjahr 13 Stellen nicht besetzt, für die wir Geld von den Krankenkas­sen hätten, weil wir keine Bewerber hatten. Ausgleiche­n mussten das unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in der Pflege, die Überstunde­n gemacht haben. Uns geht es im Vergleich zu anderen Kliniken bei den freien Stellen allerdings noch relativ gut.

Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann will erreichen, dass bis 2020 die Kassen 1000 zusätzlich­e Pflegestel­len finanziere­n. BRESSLEIN Wie soll das gehen? Pflegekräf­te haben drei Jahre „Lieferzeit“. Es gibt eine Initiative der Bundesagen­tur für Arbeit, geordnet Pflegekräf­te von den Philippine­n in die Bundesrepu­blik zu bringen. Krankenhäu­ser sollen ihren Bedarf melden. Für die Auswahl, den Sprachkurs und den Flug müssten dann pro Person 6000 Euro bezahlt werden. Wir machen da nicht mit. Es kann doch nicht sein, dass wir in diesen Ländern die Gesundheit­sversorgun­g kaputtmach­en, indem wir ihnen die Pflegekräf­te wegnehmen. Außerdem sind solche Programme vor mehr als 25 Jahren schon gescheiter­t.

Wäre die Situation deutlich entspannte­r, wenn Sie alle Stellen besetzen könnten?

BRESSLEIN Dann wäre es immer noch sehr eng. Es sind in den letzten Jahren deutlich Pflegestel­len abgebaut worden. Das hängt damit zusammen, dass die Verweildau­er in den Krankenhäu­sern immer kürzer wird. Wenn wir im Klinikum die Verweildau­er der Patienten um einen halbenTag verkürzen, haben wir pro Tag etwa 35 Patienten weniger im Haus und könnten eine Station schließen und dementspre­chend 15 oder 16 Stellen in der Pflege abbauen. So ist das bei uns auch passiert. Durch die kürzere Verweildau­er hat sich die Arbeit auf der Station verdichtet. Früher hatte man den Patienten schon zwei, drei Tage vor einer Operation da, um ihn vorzuberei­ten, da hat er noch nicht so viel Arbeit gemacht. Oder die Patienten blieben nach ihrer Operation länger und waren an diesen Tagen nicht mehr so pflegeinte­nsiv. Das ist heute ganz anders. Patienten sind nur noch die Tage in der Klinik, die unbedingt erforderli­ch sind. Die Krankenkas­sen prüfen deutlich öfter als früher, ob noch eine medizinisc­he Notwendigk­eit für den Krankenhau­saufenthal­t besteht und nicht nur eine pflegerisc­he.

Wie viele Stellen bräuchten Sie mehr?

BRESSLEIN Wenn wir in unserem Haus 20 bis 25 Pflegekräf­te mehr hätten und außerdem alle jetzt schon vorhandene­n Stellen besetzt wären, dann wäre uns schon sehr geholfen. Frau Bachmann will im nächsten Krankenhau­splan konkrete Vorgaben machen, wie viel Personal ein Krankenhau­s für eine Station mindestens vorhalten muss. BRESSLEIN Darauf bin ich sehr gespannt.

Glauben Sie nicht daran? BRESSLEIN Die Vorgaben sind ja nur rechtssich­er, wenn belegt ist, dass genau so viele Pflegekräf­te, wie vorgeschri­eben werden, auch wirklich notwendig sind. Wenn die Zahl also evidenzbas­iert ist. Natürlich sind sechs Pflegekräf­te besser als fünf, und fünf besser als vier. Aber was ist das Richtige? Deswegen soll es nach meiner Kenntnis auch nur „Empfehlung­en“geben. Damit verschlech­tern wir aber die Chancen, die zusätzlich­en Stellen von den Krankenkas­sen refinanzie­rt zu bekommen. Denn Empfehlung­en müssen die Krankenkas­sen nicht bezahlen. Gleichzeit­ig soll es aber Sanktionen geben, wenn diese Empfehlung­en nicht eingehalte­n werden. Da wird man sich auf eine Prozesswel­le einstellen müssen. Ich bin sehr skeptisch, ob sich damit die Situation in der Pflege verbessern wird, und warte auf die ersten konkreten Ausarbeitu­ngen.

Alle Welt redet nur von Pflegekräf­ten. Wie sieht es bei den Ärzten aus? BRESSLEIN Wir könnten genauso gut auch noch zehn zusätzlich­e Ärzte einstellen, ohne dass wir dann eine Überbesetz­ung hätten. Ich habe aber dafür die Kassenfina­nzierung nicht. Wir im Klinikum Saarbrücke­n finden zum Glück noch Ärzte, wenn Stellen zu besetzen sind. Das ist aber keineswegs mehr selbstvers­tändlich. Wobei wir inzwischen im Saarland ganz viele Ärzte aus dem Ausland haben.

Wird sich das in Zukunft noch verstärken?

BRESSLEIN Ja. Wir bilden zu wenige Ärzte aus. Jedes Jahr wollen 40 000 junge Menschen Medizin studieren, aber durch den Numerus Clausus bekommen nur 10 000 einen Studienpla­tz. Wir schaffen uns da einen Flaschenha­ls. Da ist es anders als in der Pflege: Bei den Ärzten gäbe es genügend Interessen­ten für die Ausbildung.

Warum fehlt denn überhaupt das Geld für zusätzlich­e Mitarbeite­r? BRESSLEIN Als 2004 die Fallpausch­alen eingeführt wurden, gab es im System eine gewisse Menge Geld. Man hat damals gesagt: Wir machen einen Deckel obendrauf, so dass die Krankenhäu­ser unabweisba­re Kostenstei­gerungen wie höhere Gehälter, höhere Energiekos­ten, höhere Preise beim Einkauf nicht automatisc­h durch höhere Preise bezahlt bekamen. Hintergeda­nke war und ist, dass es einige Krankenhäu­ser einfach nicht mehr schaffen werden zu überleben. Allen war schon damals bewusst, dass wir in Deutschlan­d eine Überversor­gung mit Krankenhäu­sern haben. Aber die Politik traut sich nicht, Kapazitäte­n vom Netz zu nehmen.

Gibt es auch im Saarland zu viele Krankenhäu­ser?

BRESSLEIN Auch im Saarland bräuchte man nicht alle Standorte. Als vor ein paar Jahren die Universitä­tskliniken von Verdi 111 Tage lang bestreikt wurden, ist die Gesundheit­sversorgun­g nicht zusammenge­brochen. Kurz darauf sind wir sechs Wochen vom Marburger Bund bestreikt worden, da ist sie auch nicht zusammenge­brochen. Daran sieht man, welche Überkapazi­täten es allein im Bereich der Maximalver­sorger gibt.

Im Saarland gibt es 22 Krankenhäu­ser. Wie viele würden reichen? BRESSLEIN Wenn man sich vorstellt, das Saarland hätte kein Krankenhau­s und man müsste, wie bei Monopoly, jetzt Krankenhäu­ser hinstellen, würden zehn Standorte reichen, gut verteilt im Land. Aber es sind nun einmal 22 Standorte da. Die kann man ja nicht einfach abreißen. Aber man könnte mehr Strukturen verändern.

Warum geht da niemand ran? BRESSLEIN Es sind immer irgendwelc­he Wahlen am Horizont. Jeder Bürgermeis­ter, jeder Abgeordnet­e, jeder Landrat, aber natürlich auch die Bevölkerun­g hängt verständli­cherweise an dem örtlichen Krankenhau­s. Für die neue Krankenhau­splanung wurden von der Gesundheit­sministeri­n allerdings bereits Strukturve­ränderunge­n angekündig­t.

Eine ganz andere Baustelle sind die Investitio­nskosten für Gebäude und medizinisc­he Großgeräte, die das Land eigentlich bezahlen müsste. Die Zuschüsse reichen hinten und vorne nicht.

BRESSLEIN Im Moment zahlt die Landesregi­erung etwa 40 bis 45 Prozent der tatsächlic­h notwendige­n Investitio­nen. Eigentlich müsste sie 100 Prozent zahlen. Bundesweit ist niemand mutig genug zu sagen: Ich verklage meine Landesregi­erung, ich habe einen gesetzlich­en Anspruch darauf, dass meine notwendige­n Investitio­nskosten übernommen werden.

Warum klagen Sie nicht? BRESSLEIN Ich bin auch nicht mutig genug, bundesweit die erste zu sein.

Die Fragen stellte Daniel Kirch.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Susann Breßlein in ihrem Büro auf dem Saarbrücke­r Winterberg.
FOTO: OLIVER DIETZE Susann Breßlein in ihrem Büro auf dem Saarbrücke­r Winterberg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany