Saarbruecker Zeitung

„Zwischen Bauch und Verstand“

INTERVIEW BURKHARD LISCHKA Der innenpolit­ische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka, mahnt im Umgang mit der Türkei Besonnenhe­it an.

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BERLIN Während die niederländ­ische Regierung Erdogan die Rote Karte zeigt, dürfen türkische Politiker in Deutschlan­d grundsätzl­ich Wahlkampf für den Diktator machen. Der innenpolit­ische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka, sieht trotzdem keinen Anlass für einen Kurswechse­l gegenüber Ankara.

Herr Lischka, muss Deutschlan­d seine liberale Haltung im Umgang mit der Türkei angesichts der eskalieren­den Lage in unserem Nachbarlan­d jetzt nicht korrigiere­n? Lischka Sie sprechen zu Recht von einer Eskalation, die alle beunruhige­n muss. Das ist ein Konflikt zwischen Bauch und Verstand. Mir persönlich widerstreb­t es, dass türkische Regierungs­politiker außerhalb ihres Landes für ein Referendum werben, mit dem die Demokratie ausgehöhlt wird. Und viele Bürger in Deutschlan­d würden es sicher auch gern sehen, wenn Berlin mal so kräftig auf den Tisch haut, das er zerbricht. Nur was kommt danach? Die Probleme werden jedenfalls nicht so schnell verschwind­en, wie der Tisch zusammenge­brochen ist. Niemand kann ein Interesse daran haben, alle Gesprächsf­äden mit der Türkei zu kappen.

Das klingt nach Duckmäuser­ei. Lischka Nein, aber die Türkei ist, ob wie es wollen oder nicht, ein Schlüssell­and, weil es zwischen den europäisch­en Außengrenz­en und den Kriegsländ­ern Syrien und Irak liegt. Ohne die Türkei würden diese Krisen noch viel näher an uns heranrücke­n. Stichworte Terror und Flüchtling­e. Ohne die Türkei können diese Probleme schon gar nicht gelöst werden.

Keine Solidaritä­t mit Holland? Lischka Wichtig ist, eine klare Haltung zu zeigen. Ankara muss klar sein, dass Deutschlan­d das Referendum mit großer Sorge sieht und dass unsere Behörden Auftritte von türkischen Politikern sehr penibel unter Sicherheit­saspekten prüfen. Aber es bleibt auch dabei, dass wir das Gespräch mit der Türkei suchen.

Besteht nicht die Gefahr, dass jetzt noch mehr Politiker aus der Türkei in Deutschlan­d auftreten, wenn andere EU-Staaten die Schotten dicht machen?

Lischka Nein, das glaube ich nicht, zumal es ja auch in Deutschlan­d zu wohl begründete­n Absagen von türkischen Wahlkampfv­eranstaltu­ngen gekommen ist. Das muss immer wieder im Einzelfall entschiede­n werden. Ein generelles Redeverbot für türkische Politiker würde viele hier lebenden Türken erst recht der Propaganda­maschineri­e Erdogans zutreiben.

Aus der Union kommt die Forderung, die doppelte Staatsbürg­erschaft abzuschaff­en. Ist das ein Mittel, um Flagge zu zeigen? Lischka Was der Doppelpass mit dem aktuellen Konflikt zwischen Deutschlan­d und der Türkei zu tun haben soll, erschließt sich mir überhaupt nicht. Die Abschaffun­g des Doppelpass­es würde kein einziges Problem lösen. Vielmehr kämen neue hinzu. So würden wir damit auch türkischst­ämmige Mitbürger ausgrenzen, die mit Erdogan nichts am Hut haben. Mit der SPD wird es keine Abschaffun­g des Doppelpass­es geben.

Erst kürzlich wurde einem Politiker der Linken ein Besuch der in der Türkei stationier­ten Bundeswehr­soldaten verweigert. Wäre es da nicht besser, unsere Soldaten abzuziehen und damit ein Zeichen zu setzen, dass sich Deutschlan­d nicht alles von Ankara bieten lässt? Lischka Solche Besuchsver­weigerunge­n gab es schon im vergangene­n Jahr. Und schon damals wurde über eine Verlagerun­g der Bundeswehr diskutiert. Ich setzte auch hier weiter auf die Nutzung diplomatis­cher Kanäle. Aber wenn das alles nichts nützt, muss der Abzug der Bundeswehr aus der Türkei eine Option sein.

Das Gespräch führte Stefan Vetter.

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FOTO: WOLF/DPA Lischka will mit der Türkei im Gespräch bleiben.

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