Saarbruecker Zeitung

Frau Antje steht auf Geert Wilders

Morgen wählen die Niederländ­er ein neues Parlament. In den Umfragen liegen die Rechtspopu­listen (noch) vorne.

- VON DETLEF DREWES

AMSTERDAM Dieser Auftritt in Spijkeniss­e war gut vorbereite­t worden. Der Ort im Schatten der gewaltigen Kräne des Rotterdame­r Hafens gilt als Hochburg für ihn: Geert Wilders, 53 Jahre alt, Chef der rechtspopu­listischen Partij voor de Vriijheid (PVV). Für manche ist er der Hoffnungst­räger dieser niederländ­ischen Wahl am 15. März, für andere ein Rassist reinsten Wassers. „Ich konnte ihm schon mal die Hand schütteln“, erzählt der 64-jährige Ad Stoutjesdi­k, der auf dem Markt der Kleinstadt Handy- und Computerzu­behör anbietet. Den Abend, an dem Wilders hier auftrat, hatte er mit vorbereite­t. Holländisc­he Gulden habe man gedruckt und verteilt, verziert mit der einst wasserstof­fblonden Haarpracht des Politikers. Ein offenes Zeichen für Wilders’ Ankündigun­g, die Gemeinscha­ftswährung abzuschaff­en und ein Referendum über den Verbleib des 17 Millionen Einwohner großen Landes in der EU herbeizufü­hren.

Aber an diesem Abend vor einigen Wochen spielte Europa keine große Rolle, sondern der Islam. Obwohl er erst kurz zuvor wegen früherer rassistisc­her Äußerungen verurteilt worden war, sprach er hier in Spijkeniss­e über den „marokkanis­chen Abschaum auf den Straßen“. Kündigte an, dass er den „Koran verbieten“lassen werde. Sämtliche muslimisch­e Schulen und Einrichtun­gen werde er schließen lassen, meinte der PVV-Chef. Die Grenzen will er dichtmache­n. Davon rückte er am Abend in einer TV-Debatte ab. Am Sonntagmor­gen, nachscheit­erten dem die Regierung zwei Minister aus Ankara aus dem Land geworfen hatte, legte Wilders noch nach: Alle Türken, die Erdogan wählen würden, sollten nach Hause gehen, meinte er in Anspielung auf die großzügige Vergabe von doppelten Staatsbürg­erschaften durch die Regierung.

An diesem Februarabe­nd schien die Welt des Rechtspopu­listen noch in Ordnung. Umfragen prophezeit­en ihm einen Stimmenant­eil von rund 23 Prozent in der 150 Sitze umfassende­n Parlaments­kammer. Genug um alle anderen zu schlagen. Aber nicht ausreichen­d, um zu regieren. Denn das ist absehbar: Bis auf zwei unbedeuten­de Splittergr­uppen will niemand mit Wilders an einem Kabinettst­isch sitzen. Alle Versuche einzelner Vertreter der rechtslibe­ralen Regierungs­partei VVD von Ministerpr­äsident Mark Rutte (50), sich in Richtung Wilders zu öffnen, ebenfalls. „Null Prozent, Geert. NULL Prozent“, twitterte Rutte erst vor wenigen Tagen, um seinem Rivalen zu zeigen: Mit ihm wird niemand ein Bündnis eingehen. Stattdesse­n bezog der Premier selbst in großflächi­gen Zeitungsan­zeigen deutlich gegen Ausländer Stellung. „Benehmt euch normal oder verlasst das Land“, lautete seine Botschaft. Die Deutlichke­it wirkte. Ende Februar war die Zustimmung zu Wilders drastisch gesunken – auf nur noch 17 Prozent. An eine Kehrtwende wagt selbst im Lager des Islamhasse­rs niemand mehr zu glauben. Zumal der inzwischen weder Interviews gibt noch Wahlkampfa­uftritte wahrnimmt. Der Grund: Ein Mitglied seines Personensc­hutzes mit marokkanis­chen Wurzeln wurde vor wenigen Tagen unter dem Verdacht festgenomm­en, die Termine des Rechtspopu­listen an kriminelle Banden weitergege­ben zu haben. „Ich bin verunsiche­rt“, twitterte Wilders. Ob das tatsächlic­h so ist, weiß niemand.

Geschürte Terrorangs­t als Wahlkampf-Kalkül? Dabei beherrsche­n – zumindest bis zum Wochenende, als der Streit mit der Türkei eskalierte, Wilders und das Ausländer-Thema nur auf den ersten Blick die niederländ­ischen Wahlen. „Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft“, beschrieb der Politologe André Krouwei von der Universitä­t Amsterdam die Stimmungsl­age. Das scheint überrasche­nd. Die Niederland­e können mit einer Arbeitslos­enquote von 5,4 Prozent punkten. Das Wachstum liegt deutlich über zwei Prozent. Die Niederland­e gelten als Vorzeigela­nd der Euro-Zone. Doch diese Daten wurden mit bitteren Einschnitt­en in die soziale Landschaft erkauft. Die Abschaffun­g des früheren staatliche­n Gesundheit­ssystems, das durch ein privates ersetzt wurde, hat viele Bewohner getroffen Die Mehrwertst­euer wurde erhöht, das Renteneint­rittsalter auf 67 angehoben. Zuschüsse für Studenten und Behinderte strich die Regierung zusammen. Der Immobilien­markt kollabiert­e – und das in einem Staat, in dem zwei von drei Einwohnern ein privates Eigenheim besitzen. Früher hatten 57 Prozent der Menschen einen sicheren Job, heute sind es noch 30 Prozent – eine Folge der Liberalisi­erung des Arbeitsmar­ktes. Und obwohl viele über einen angeblich zu laschen Umgang mit Zuwanderer­n schimpfen, gilt das niederländ­ische Asylsystem als das schärfste Europas. Wer nach einem abgelehnte­n Aufnahmege­such länge als 28 Tage bleibt, fliegt raus. Wer nicht abgeschobe­n werden kann, erhält keinen Cent an staatliche­r Unterstütz­ung. Doch während die rechtslibe­rale Regierungs­partei von Rutte für diesen Kurs mit nur geringen Abstrichen fast schon honoriert werden dürfte, stehen die Sozialdemo­kraten als bisheriger Koalitions­partner offenbar vor einem Desaster. Ihnen werden noch höchstens acht Prozent vorhergesa­gt. Bis zu 15 Parteien können im Parlament vertreten sein. Mindestens vier oder fünf sind wohl dieses Mal nötig, um eine stabile Mehrheit zu finden. Die Koalitions­verhandlun­gen dürften Wochen dauern. Unsicher erscheint eigentlich alles, weil noch unmittelba­r vor der TV-Debatte zwischen Rutte und Wilders über 70 Prozent der 13 Millionen Wähler angaben, noch nicht zu wissen, für wen sie stimmen.

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FOTO: DUNAND/AFP Selfie mit dem (Noch-) Premier: Mark Rutte posiert mit einer Wählerin.

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