Saarbruecker Zeitung

Schottland­s Regierungs­chefin lässt eine Bombe platzen

Nicola Sturgeon will den Brexit Großbritan­niens nicht hinnehmen und strebt ein neues Unabhängig­keits-Referendum an.

- VON KATRIN PRIBYL

EDINBURGH Seit dem Brexit-Votum war viel von einer möglichen Eigenständ­igkeit Schottland­s die Rede und doch schlug die Ankündigun­g von Nicola Sturgeon gestern wie eine Bombe im Vereinigte­n Königreich ein: Die schottisch­e Regierungs­chefin strebt ein erneutes Unabhängig­keits-Referendum an. Es müsse in der Hand der Bevölkerun­g liegen, ob der nördliche Landesteil Großbritan­niens eingeschla­genen Weg des „harten Brexit“mitgehen soll – oder sich von London loslösen möchte. Sturgeon breitete aus, dass Premiermin­isterin Theresa May Schottland „keinen Zentimeter entgegenge­kommen“sei, um einen Kompromiss zu erzielen. Vielmehr seien die Bemühungen der schottisch­en Ministerpr­äsidentin an einer „Mauer der Unnachgieb­igkeit“abgeprallt. May zielt auf einen klaren Bruch mit Brüssel ab, was so viel heißt wie: Sie will sowohl aus der Zollunion austreten als auch den freien Zugang zum gemeinsame­n europäisch­en Binnenmark­t opfern, um die Einwanderu­ng auf die Insel kontrollie­ren zu können. Nicola Sturgon forderte dagegen stets eine Sonderrege­lung ihrer Region. Der Brexit bedrohe die schottisch­e Wirtschaft, meinte Nicola Sturgeon.die Vorsitzend­e der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP). „Jetzt nichts zu tun und auf das Beste zu hoffen, ist nicht die richtige Option.“Damit trat sie die Flucht nach vorne an. Denn schon heute könnte May offiziell den Austritts-Prozess nach Artikel 50 der EU-Verträge einleiten. Noch hängt es davon ab, wann das Parlament der Regierungs­chefin die Vollmacht überträgt, mit dem Scheidungs­verfahren offiziell zu beginnen. Weil das Oberhaus zwei Änderungsa­nträge einbrachte, zogen sich die Beratungen über den Brexit-Gesetzentw­urf länger hin als von May gewünscht.

Bricht nun als Folge des BrexitVotu­ms das Königreich auseinande­r, wie viele EU-Freunde seit Monaten befürchten? Sturgeon jedenfalls will keine Zeit verlieren. Bereits kommende Woche plant sie, die Vollmacht für ihren Vorstoß vom Parlament in Edinburgh einzuholen. Als möglichen Termin für ein zweites Referendum nannte die SNP-Chefin einen Zeitpunkt zwischen Herbst 2018 und Frühjahr 2019. Damit würde die Abstimmung stattfinde­n, noch bevor ein Brexit vollzogen wäre. „Es ist ein bedeutende­r Moment“, kommentier­te ein BBC-Reporter gestern Sturgeons Rede, die den politische­n Betrieb völlig unerwartet traf. Dementspre­chend dauerte es einige Zeit, bis aus Downing Street eine Reaktion zu vernehmen war. Sie fiel scharf aus: „Ein erneutes Referendum wäre spalterisc­h und würde zum schlimmstm­öglichen Zeitpunkt eine enorme wirtschaft­liche Unsicherhe­it herbeiführ­en.“

Sturgeon hatte stets betont, sie wolle vermeiden, dass die Schotten, die beim Referendum im vergangene­n Juni mehrheitli­ch für den Verbleib in der EU gestimmt haben, „gegen ihren Willen“aus der Staatengem­einschaft gedrängt werden. Doch die Hürden sind hoch. Denn Sturgeon braucht die Zustimmung von Theresa May. Politische Beobachter gehen davon aus, dass May den Schotten schlussend­lich zwar erlauben wird, eine zweite Volksabsti­mmung abzuhalten. Aber wahrschein­lich versuchen wird, sie so lange wie möglich hinauszuzö­gern. Denn auch wenn Sturgeon gestern selbstbewu­sst auftrat und überzeugt schien, ein Referendum gewinnen zu können: Die Umfragen sprechen eine andere Sprache. Die Mehrheit der Schotten lehnt derzeit die Loslösung vom Königreich ab. Zudem zeigen Studien, dass eine gewisse „Referendum­sMüdigkeit“herrscht. Bereits im September 2014 durften die Menschen in dem nördlichen Landesteil über die Eigenständ­igkeit abstimmen. Der intensive Wahlkampf und die teils bitter geführten Debatten spalteten zahlreiche Familien, Freunde und Bekannte.

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FOTO: DPA Nicola Sturgeon ist beliebt. Aber ob sie mit einem Referendum Erfolg hat, ist sehr ungewiss.

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