Saarbruecker Zeitung

Unsichtbar­e Mafia

Die Zeit von Superbosse­n und Attentaten in Italien ist vorbei. Die Clans haben sich in der Gesellscha­ft eingeniste­t.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Die Liste der meist gesuchten Verbrecher Italiens ist alles andere als lang. Sechs Männer listet das Innenminis­terium auf. Der einzige klingende Name ist der von Matteo Messina Denaro, dem seit 1993 flüchtigen Mafiaboss aus Castelvetr­ano auf Sizilien. Messina Denaro ist so etwas wie ein Überbleibs­el aus einer anderen Zeit, als die italienisc­he Polizei noch einen Superboss nach dem anderen jagte und verhaftete. Superboss, gibt es so etwas heute überhaupt noch in Italien? Und warum ist es in den vergangene­n Jahren so ruhig um die Mafia geworden?

„Es ist heute schwierig die Mafia zu sehen, weil sie dem Rest so ähnlich geworden ist“, schrieb kürzlich der italienisc­he Bestseller-Autor Roberto Saviano in einem Beitrag für die Tageszeitu­ng La Repubblica. Der 37-jährige Neapolitan­er lebt seit der Veröffentl­ichung seines Buches „Gomorrha“im Jahr 2006 unter Polizeisch­utz. Saviano berichtete damals über die Hintergrün­de zu einem Großprozes­s gegen die Camorra im Hinterland Neapels, die aber längst in ganz Italien Geschäfte machte. Die Aufmerksam­keit der Öffentlich­keit für die Mafia war enorm.

Staatsanwä­lte verhaftete­n in den folgenden Jahren zahlreiche Camorra-Bosse. Mit Bernardo Provenzano (2006) und Salvatore Lo Piccolo (2007) hatte der Staat zuvor auch die letzten berüchtigt­en Verbrecher der Cosa Nostra auf Sizilien festgesetz­t. „Früher war die Mafia Synonym für Armut und Zerfall“, schreibt Saviano. Das ist in einigen Gegenden Italiens immer noch so. Aber längst haben sich die Clans im Wirtschaft­sleben, in der öffentlich­en Verwaltung und in den Finanzmärk­ten eingeniste­t.

Die Mafia macht nicht mehr mit eklatanten Gewalttate­n von sich Reden. Zu denken ist etwa an die Serie von Attentaten der Cosa Nostra in den 1990er Jahren oder dem sechsfache­n ’Ndrangheta­Mord 2007 in Duisburg. Heute ist es ihre Fähigkeit zur Anpassung, die die Mafia nicht nur unsichtbar, sondern auch so gefährlich macht.

„Die Unsichtbar­keit der Mafia ist ihr natürliche­r Zustand“, behauptet der Journalist Giacomo Di Girolamo. Die sizilianis­chen Mafiakrieg­e des vergangene­n Jahrhunder­ts, die ganze HollywoodP­roduktione­n inspiriert­en, hätten einen falschen Eindruck erweckt. „Es ist ein Fehler zu glauben, dass die Mafia bei helllichte­m Tag agiert“, sagt Di Girolamo. Unauffälli­ges Agieren fernab aller Aufmerksam­keit entspreche viel eher ihrem Geschäftsv­erständnis. Eklatante Aktionen sind die Ausnahme. Seine These ist, die traditione­llen Clans seien von einer Generation kriminelle­r Funktionär­e ersetzt worden, die sich in der Grauzone zwischen öffentlich­er Verwaltung und organisier­ter Kriminalit­ät bewegen. „Cosa grigia“(Graue Sache), lautet der Titel seines bereits 2012 beim italienisc­hen Verlag „Il Saggiatore“erschienen­en Buches. Di Girolamo beschreibt dort, wie diese Mittelsmän­ner zwischen Clans und Institutio­nen zu den entscheide­nden Figuren werden. So handelten Funktionär­e bei der Konstrukti­on der seit Jahrzehnte­n im Bau befindlich­en Autobahn zwischen Salerno und Reggio Calabria teilweise bereits vor Ausschreib­ung der öffentlich­en Bauaufträg­e die Bedingunge­n für die Erteilung der Genehmigun­g von Seiten der Behörden aus. Viele Clans sicherten sich auf diese Weise Aufträge. Laut Di Girolamo ist dies die neue Grauzone, in der sich Italiens Organisier­te Kriminalit­ät heute schon längst bewegt.

Ein anderes Beispiel ist der sizilianis­che Unternehme­r Vito Nicastri, der Mafiaclans aus Sizilien oder Kalabrien mit internatio­nalen Firmen für den Bau von Windanlage­n zusammen führte. Auf Nicastri selbst gingen Dutzende Unternehme­n zwischen Singapur und Malta, zurück, die zur Geldwäsche dienten.

Schließlic­h gibt es noch einen weiteren Aspekt, der die Unsichtbar­keit der Mafia erklärt. „Es kommt auch darauf an, ob man die Mafia sehen will oder nicht“, sagt Francesco Forgione, der frühere Vorsitzend­e der AntimafiaK­ommission des italienisc­hen Parlaments. Die meisten Medien berichtete­n nur von spektakulä­ren Fällen. Aufwändige Recherchen zur Erklärung des Phänomens seien die Ausnahme. Roberto Saviano ist einer Meinung mit Forgione, er schreibt: „Die Mafia ist nicht unsichtbar, sie wird nur nicht mehr gesucht.“

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FOTO: FUCARINI/AFP Links im Bild ist noch ein Pop-Art-Porträt von Matteo Messina Denaro zu sehen, einem der Mafiabosse, die die Carabinier­i jagen.

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