In den Fängen der Mafia – Eine Kronzeugin packt aus
Maria G. arbeitete für die ’Ndrangheta, bis sie nach Deutschland fliehen musste.
BERLIN Manchmal wünscht sich Maria G., gar nicht am Leben zu sein. „Ich bin im Oktober 1981 geboren und es wäre besser, wenn das nicht passiert wäre,” sagt die Mafia-Kronzeugin über ihre Geburt in Deutschland. Denn in ihrem Leben hat sie bisher nur Gewalt, Ausbeutung und Angst vor Rache durch die Mafia erfahren.
Maria G. wuchs als Kind einer italienischen Gastarbeiterfamilie in der Nähe von Stuttgart auf. Und sie geriet früh in die Fänge der Mafia. Mit 16 Jahren lernte sie bei einem Urlaub in Italien ihren ersten Mann kennen: ein Mitglied der Mafia-Gruppe der ’Ndrangheta. Sie wird mit dem Mann verheiratet, bekommt Kinder. Ihr Mann führt sie in die Welt der Mafia ein.
Maria G. wurde zur Drogenhändlerin und war in Menschenhandel verwickelt. Versuchte immer wieder, dem Verbrechen zu entkommen. Doch alles im Leben von Maria G. war nun mit der Mafia verflochten. Ihr sozialer Zusammenhalt. Alles, was sie kannte. Als sie sich von ihrem gewalttätigen Mann trennen wollte, setzte es Schläge. Ihre Familie zwang sie, die Ehe weiter zu führen. Nachdem Maria G. zur Polizei ging, um sich von ihrem Ehemann zu lösen, versuchte er nach Aussage von Maria G., sie zu töten. Er versuchte, ihr den Mund und das Gesicht mit Säure auszuwaschen. Eine Prozedur, mit der häufig Mafia-Zeugen ermordet werden.
Das Leben von Maria G. war von Kriminalität und Gewalt geprägt. Währenddessen zog ihr Mann die Fäden in seinem Mafia-Clan und stieg auf. Er half einem Boss aus dem Clan der Morfò bei der Flucht nach Deutschland und tauchte schließlich selbst in Süddeutschland unter. Kronzeugin Maria G. beschreibt, wie wichtig Deutschland für die Mafia geworden ist. Deutschland ist nicht nur als Rückzugsraum attraktiv, in den sich Mafiosi bei zu großem Druck durch Ermittler in Italien zurückziehen können, sondern wird auch immer stärker für Geschäfte nach dem Muster in Italien genutzt. In Deutschland kann die Mafia Geld verdienen und illegale Gewinne waschen, ohne allzu große Angst vor Beschlagnahmungen haben zumüssen. Maria G. flüchtete schließlich mit ihren Kindern in den Zeugenschutz – und konnte sich doch nicht komplett aus den Fängen der Mafia lösen. Immer wieder wurde sie bedroht, angegriffen und belagert. Telefonisch, auf der Straße. Ihre Autos, ihre Wohnungen wurden mehrfach angezündet. Eine Dokumentation der Taten umfasst elf Anschläge in knapp zwei Jahren. „Ich bin aus dem Zeugenschutzprogramm ausgestiegen, weil ich eine lebende Leiche bin. Hier in Deutschland oder in Italien – das ist dasselbe“, sagt Maria.
Die Recherche über das Leben der Maria G. führt direkt ins Herz der Mafia. Nach ihren Erklärungen kann sich die organisierte Kriminalität so stark in Deutschland ausbreiten,weil etliche Menschen aus dem Umfeld der Mafia kein Vertrauen in die staatlichen Instanzen haben. Sie glauben nicht daran, dass Gesetze etwas bestimmen können. Stattdessen glauben sie daran,dass sie der Gnade der Mafia-Bosse ausgeliefert sind. Nur diesen sei es zu verdanken, wenn sie eine Wohnung bekommen, ein Schulzeugnis, oder eine Arbeitsstelle. Die Menschen glauben, alles in Deutschland sei manipulierbar und werde von den Mafia-Bossen manipuliert.
Die Kronzeugin Maria G. macht klar: Nur die wenigsten entscheiden sich freiwillig, in die Mafia einzutreten. Sie werden hineingeboren und steigen auf – oder sterben bei dem Versuch, das zu schaffen. Maria G. hat selbst fünf Kinder. Eines davon ist schwer behindert und sitzt in einem Rollstuhl. In Kalabrien wären ihre zwei Söhne bereits im Gefängnis oder würden mit Drogen handeln, sagt Maria. Doch immer wieder wird die Kronzeugin zurückgeworfen in die alte Welt der Mafia. Immer wieder erlebt sie die Angst, dass irgendwann ein Rächer der Mafia vor ihr steht und sie tötet.