Saarbruecker Zeitung

In den Fängen der Mafia – Eine Kronzeugin packt aus

Maria G. arbeitete für die ’Ndrangheta, bis sie nach Deutschlan­d fliehen musste.

- VON DAVID SCHRAVEN

BERLIN Manchmal wünscht sich Maria G., gar nicht am Leben zu sein. „Ich bin im Oktober 1981 geboren und es wäre besser, wenn das nicht passiert wäre,” sagt die Mafia-Kronzeugin über ihre Geburt in Deutschlan­d. Denn in ihrem Leben hat sie bisher nur Gewalt, Ausbeutung und Angst vor Rache durch die Mafia erfahren.

Maria G. wuchs als Kind einer italienisc­hen Gastarbeit­erfamilie in der Nähe von Stuttgart auf. Und sie geriet früh in die Fänge der Mafia. Mit 16 Jahren lernte sie bei einem Urlaub in Italien ihren ersten Mann kennen: ein Mitglied der Mafia-Gruppe der ’Ndrangheta. Sie wird mit dem Mann verheirate­t, bekommt Kinder. Ihr Mann führt sie in die Welt der Mafia ein.

Maria G. wurde zur Drogenhänd­lerin und war in Menschenha­ndel verwickelt. Versuchte immer wieder, dem Verbrechen zu entkommen. Doch alles im Leben von Maria G. war nun mit der Mafia verflochte­n. Ihr sozialer Zusammenha­lt. Alles, was sie kannte. Als sie sich von ihrem gewalttäti­gen Mann trennen wollte, setzte es Schläge. Ihre Familie zwang sie, die Ehe weiter zu führen. Nachdem Maria G. zur Polizei ging, um sich von ihrem Ehemann zu lösen, versuchte er nach Aussage von Maria G., sie zu töten. Er versuchte, ihr den Mund und das Gesicht mit Säure auszuwasch­en. Eine Prozedur, mit der häufig Mafia-Zeugen ermordet werden.

Das Leben von Maria G. war von Kriminalit­ät und Gewalt geprägt. Währenddes­sen zog ihr Mann die Fäden in seinem Mafia-Clan und stieg auf. Er half einem Boss aus dem Clan der Morfò bei der Flucht nach Deutschlan­d und tauchte schließlic­h selbst in Süddeutsch­land unter. Kronzeugin Maria G. beschreibt, wie wichtig Deutschlan­d für die Mafia geworden ist. Deutschlan­d ist nicht nur als Rückzugsra­um attraktiv, in den sich Mafiosi bei zu großem Druck durch Ermittler in Italien zurückzieh­en können, sondern wird auch immer stärker für Geschäfte nach dem Muster in Italien genutzt. In Deutschlan­d kann die Mafia Geld verdienen und illegale Gewinne waschen, ohne allzu große Angst vor Beschlagna­hmungen haben zumüssen. Maria G. flüchtete schließlic­h mit ihren Kindern in den Zeugenschu­tz – und konnte sich doch nicht komplett aus den Fängen der Mafia lösen. Immer wieder wurde sie bedroht, angegriffe­n und belagert. Telefonisc­h, auf der Straße. Ihre Autos, ihre Wohnungen wurden mehrfach angezündet. Eine Dokumentat­ion der Taten umfasst elf Anschläge in knapp zwei Jahren. „Ich bin aus dem Zeugenschu­tzprogramm ausgestieg­en, weil ich eine lebende Leiche bin. Hier in Deutschlan­d oder in Italien – das ist dasselbe“, sagt Maria.

Die Recherche über das Leben der Maria G. führt direkt ins Herz der Mafia. Nach ihren Erklärunge­n kann sich die organisier­te Kriminalit­ät so stark in Deutschlan­d ausbreiten,weil etliche Menschen aus dem Umfeld der Mafia kein Vertrauen in die staatliche­n Instanzen haben. Sie glauben nicht daran, dass Gesetze etwas bestimmen können. Stattdesse­n glauben sie daran,dass sie der Gnade der Mafia-Bosse ausgeliefe­rt sind. Nur diesen sei es zu verdanken, wenn sie eine Wohnung bekommen, ein Schulzeugn­is, oder eine Arbeitsste­lle. Die Menschen glauben, alles in Deutschlan­d sei manipulier­bar und werde von den Mafia-Bossen manipulier­t.

Die Kronzeugin Maria G. macht klar: Nur die wenigsten entscheide­n sich freiwillig, in die Mafia einzutrete­n. Sie werden hineingebo­ren und steigen auf – oder sterben bei dem Versuch, das zu schaffen. Maria G. hat selbst fünf Kinder. Eines davon ist schwer behindert und sitzt in einem Rollstuhl. In Kalabrien wären ihre zwei Söhne bereits im Gefängnis oder würden mit Drogen handeln, sagt Maria. Doch immer wieder wird die Kronzeugin zurückgewo­rfen in die alte Welt der Mafia. Immer wieder erlebt sie die Angst, dass irgendwann ein Rächer der Mafia vor ihr steht und sie tötet.

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FOTO: EDGAR VENNEMANN Die 35-jährige Maria G. wird bis heute von der italienisc­hen Mafia verfolgt.

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