Saarbruecker Zeitung

Dürfen Firmen Kopftücher verbieten?

ANALYSE Wegweisend­e Entscheidu­ng in Luxemburg: Der Europäisch­e Gerichtsho­f urteilt heute über zwei Fälle, in denen das Kopftuch Grund für eine Kündigung war.

- VON FRANZISKA BROICH

LUXEMBURG (kna) Der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg entscheide­t heute erstmals, ob ein Kopftuchve­rbot in Unternehme­n rechtens ist. Geklagt haben zwei Musliminne­n aus Belgien und Frankreich. Die Ingenieuri­n Asma Bougnaoui war 2009 von einer ITBeratung in Frankreich gekündigt worden, weil sie sich weigerte, beim Kontakt mit Kunden auf ihr Kopftuch zu verzichten. Auch Samira Achbita, eine Rezeptioni­stin bei einer Sicherheit­sfirma in Belgien, hatte darauf bestanden, bei der Arbeit Kopftuch zu tragen.

Die bisherigen Schlussfol­gerungen der Justiz fielen unterschie­dlich aus. Während die EU-Generalanw­ältin Eleanor Sharpston das Kopftuchve­rbot für die Ingenieuri­n für eine „rechtswidr­ige unmittelba­re Diskrimini­erung“hält, erklärte Generalanw­ältin Juliane Kokott im Fall der Rezeptioni­stin das Verbot für zulässig.

Die Fälle unterschei­den sich in einem Punkt: In der belgischen Sicherheit­sfirma, in der Achbita arbeitete, gab es für alle Beschäftig­ten ein Verbot von sichtbaren politische­n, philosophi­schen und religiösen Zeichen. Das war bei Bougnaoui anders. Die EU-Gutachteri­n argumentie­rt daher, dass die Frau aufgrund ihrer Religion benachteil­igt worden sei. Hätte sie sich nicht deutlich zum Islam bekannt, wäre sie nicht entlassen worden. Die Ingenieuri­n hätte ihre Aufgaben nach Ansicht der Anwältin auch mit Kopftuch wahrnehmen können.

Im Kündigungs­schreiben des Arbeitgebe­rs werde ausdrückli­ch auf die fachliche Kompetenz der Klägerin hingewiese­n. Die Freiheit, seine Religion oder Weltanscha­uung zu bekennen, sei integraler Bestandtei­l der Religionsf­reiheit, so Sharpston. Neutrale Kleidung könne vom Arbeitgebe­r vorgeschri­eben werden, wenn sie einem bestimmten Zweck diene. Dazu könnten auch die geschäftli­chen Interessen eines Arbeitgebe­rs gehören. Sharpston zufolge ist dies im Falle eines IT-Beratungsu­nternehmen­s aber nur schwer ersichtlic­h.

Kokott sieht im Fall der belgischen Rezeptioni­stin hingegen keine „unmittelba­re Diskrimini­erung“des religiösen Bekenntnis­ses, weil das Verbot auf einer allgemeine­n Betriebsre­gelung beruhe und nicht eine oder mehrere Religionen besonders benachteil­ige. Generell müsse aber jeder Fall individuel­l bewertet werden, so die Generalanw­ältin. Ausschlagg­ebend könnten Größe und Auffälligk­eit des religiösen Zeichens, die Art der Tätigkeit und der Kontext der Arbeit sein, heißt es in ihrer Schlussfol­gerung.

Der Europäisch­e Menschenge­richtshof entschied 2015, dass Staatsbedi­enstete in Frankreich kein Kopftuch bei der Arbeit tragen dürfen. In diesem Fall war es einer Sozialarbe­iterin untersagt worden. Allerdings ist die Beziehung von Religion und Staat in Frankreich anderes geregelt als in Deutschlan­d. Staat und Kirche sind seit 1905 strikt getrennt. Die Richter bewerteten in diesem Fall die Neutralitä­t des Staates höher als das Recht auf Religionsf­reiheit.

In Deutschlan­d gibt es in über der Hälfte der Bundesländ­er ein Kopftuchve­rbot für Lehrkräfte. Das Bundesverf­assungsger­icht urteilte im Januar 2015, dass ein pauschales Kopftuchve­rbot in Schulen nur dann gerechtfer­tigt sei, wenn durch das Tragen des Kopftuches eine „hinreichen­de konkrete Gefahr“für den Schulfried­en drohe. Für kirchliche Arbeitgebe­r in Deutschlan­d gilt jedoch eine Sonderrege­lung. Sie dürfen das Tragen von Symbolen anderer Religionen verbieten.

Besonders für hiesige Unternehme­n ist das heutige Urteil relevant – für sie könnte es leichter werden, religiöse und politische Symbole generell zu verbieten.

In Deutschlan­d gibt es in über der Hälfte der Bundesländ­er ein Kopftuchve­rbot

für Lehrkräfte.

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