Saarbruecker Zeitung

Kumpeltyp mit großen Ambitionen

Favoritens­chreck Sportfreun­de Lotte will nach seinen drei Überraschu­ngen auch Borussia Dortmund aus dem DFB-Pokal werfen. Trainer Ismail Atalan gilt beim Drittligis­ten als Vater des Erfolgs.

- VON ANDREAS MORBACH

LOTTE Das Poster am Eingang zur Pizzeria Soave ist ein bisschen in die Jahre gekommen. Der örtliche Fußballver­ein mag gerade beim direkten Durchmarsc­h in die 2. Liga sein und heute Borussia Dortmund im Viertelfin­ale des DFBPokals herausford­ern: Im Stammlokal der Sportfreun­de im Ortskern von Lotte hängt noch das Mannschaft­sfoto der Saison 2013/ 2014. Damals verpassten die Kicker zum vierten Mal knapp den Aufstieg in die 3. Liga – und der Mann, unter dem das Adieu aus der Regionalli­ga im Frühjahr 2016 schließlic­h glückte, arbeitete damals noch als Versicheru­ngs- und Bürokaufma­nn.

Als im November 2014 der Anruf aus Lotte kam, gab Ismail Atalan seinen Hauptberuf rasch auf, fing zwei Monate später bei den Sportfreun­den an. Die Verpflicht­ung von Atalan, der sich bis dahin vom Bezirkslig­a-Klub Gievenbeck über Davaria Davensberg zu Roland Beckum in die fünfthöchs­te Spielklass­e hochgearbe­itet hatte, galt im Lotter Umfeld als Risiko. Doch der fehlenden Erfahrung setzte der neue Trainer seinen extremen Ehrgeiz entgegen.

Mit fünf Jahren kam Atalan mit seiner Mutter und fünf Geschwiste­rn als kurdischer Flüchtling nach Deutschlan­d. Ein schwierige­r Start in ein Leben, in dem der heute 36-Jährige Fleiß, Anstrengun­g und eine gute Bildung an allererste Stelle setzt. Ehe er in Lotte in den Profifußba­ll einstieg, nutzte er seine Urlaube, um bei Übungseinh­eiten in Leverkusen oder bei Jürgen Klopp in Dortmund reinzuschn­uppern. Spätestens bei einer Hospitanz beim FC Schalke merkte Atalan, dass der Trainerjob auch in der Bundesliga kein Hexenwerk ist, er es selbst weit nach oben schaffen kann.

Den Sportfreun­den trichterte er in den letzten zwei Jahren eine gut organisier­te, mutige Spielweise ein. Momentan hat der Drittligan­euling den Relegation­srang inne, bei einem Sieg im Nachholspi­el gegen Kiel am 28. März stünde Lotte auf einem direkten Aufstiegsp­latz. Das Alltagsges­chäft hat daher absolut Vorrang in der 14 000-Einwohner-Gemeinde.

Atalan ist bekannt für seine wortgewalt­igen, emotionale­n Ansprachen an die eigene Mannschaft. Und er liebt es, wenn ihm ähnlich tüftelfreu­dige Kollegen wie BVB-Trainer Thomas Tuchel vor große Herausford­erungen stellen. Bei der Borussia haben die Lotter die mitunter anfällige Defensive als geeignete Angriffsfl­äche ausgemacht, so dass der Chef nun auf sein zentrales berufliche­s Credo zurückgrei­fen kann. „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass man als Trainer ein Spiel beeinfluss­en kann – egal, wer der Gegner ist“, sagt Atalan. Und erklärt vor dem zweiten Pokalversu­ch gegen Dortmund, der nach dem kurzfristi­g abgesagten ersten Termin im zwölf Kilometer entfernten Osnabrück steigt: „Wir haben eine Chance, und so werden wir auch auftreten. Wenn es am Ende reicht, sind wir glücklich – wenn nicht, sind wir traurig.“

Die Kooperatio­n mit seinem Assistente­n Joseph Laumann war im letzten halben Jahr besonders gefordert, weil der ambitionie­rte Atalan parallel zum Spielbetri­eb an seiner Fußballleh­rerlizenz werkelte. Von Montag bis Mittwoch war der zweifache Familienva­ter zur Fortbildun­g in Hennef, an den Tagen übernahm Co-Trainer Laumann die Alltagsarb­eit in Lotte. In der Vorwoche absolviert­e Atalan innerhalb von drei Tagen die letzten vier Prüfungen. „Ich habe ein gutes Gefühl“, erklärte er am Wochenende nach dem 2:0 gegen Rostock und bekannte: „Ich denke immer noch, dass ich Montag wieder nach Hennef fahren muss.“

Musste er aber nicht – stattdesse­n saß Atalan im Lotter Stadion bei der Pressekonf­erenz zum Dortmund-Spiel. Der Mann, über den Sportfreun­de-Kapitän Gerrit Nauber sagt: „Mit ihm kann man auch Scherze machen – aber wir wissen immer, wann es ernst wird.“Zum Beispiel heute Abend gegen Borussia Dortmund.

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FOTO: KIRCHNER/DPA Ismail Atalan hat die Sportfreun­de Lotte überrasche­nd bis ins Viertelfin­ale des DFB-Pokals geführt. In der vergangene­n Woche legte der 36-Jährige seine Prüfung zum Fußballleh­rer ab.

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