Saarbruecker Zeitung

SZ-Interview mit Kanzlerin Merkel

Die Bundeskanz­lerin spricht im SZ-Interview über ihren Herausford­erer Martin Schulz, die Saarland-Wahl, die Türkei und Trump.

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BERLIN Tiefenents­pannt, aber jederzeit konzentrie­rt, so wirkte Angela Merkel beim Interview mit unseren Korrespond­enten im Berliner Kanzleramt. Weder die krawallige­n Töne aus Ankara, noch der Höhenflug des SPD-Herausford­erers Martin Schulz scheinen die Kanzlerin und CDU-Chefin sonderlich aus dem Gleichgewi­cht zu bringen.

Macht Sie der Aufstieg von Martin Schulz nervös?

MERKEL Nein. Die Entscheidu­ng der SPD für ihren Kanzlerkan­didaten hat Klarheit gebracht. Und Wettbewerb belebt das Geschäft.

Einen solchen Anstieg in den Umfragen, wie ihn jetzt die SPD erlebt, hat es aber ganz selten gegeben. Wie erklären Sie sich das?

MERKEL Bei den ja sehr mäßigen Umfragewer­ten der SPD war immer klar, dass da Luft nach oben ist. Und das zeigt sich jetzt.

Martin Schulz versucht, einen Wahlkampf mit dem Thema Gerechtigk­eit zu machen. Gibt es da auch aus Ihrer Sicht Korrekturb­edarf?

MERKEL Ich staune ein wenig, dass auch Martin Schulz sich wieder an der Agenda 2010 des früheren Bundeskanz­lers Gerhard Schröder abarbeitet. Die SPD hadert jetzt seit 14 Jahren mit dieser Reformpoli­tik und kommt aus dem Blick zurück nicht raus. Das war schon 2009 und 2013 so – und geschieht jetzt wieder. Die Sozialdemo­kratie kann sich offensicht­lich nicht über die Erfolge freuen, die unser Land mit dieser Agenda erreicht hat und die so vielen Bürgern neue Chancen eröffnet haben. Notwendige Korrekture­n haben wir immer wieder vorgenomme­n. Zum Beispiel können Menschen über 50 Jahre das Arbeitslos­engeld I jetzt länger beziehen als jüngere, den Kern der Agenda haben wir jedoch immer gestärkt. Aber all das ist Vergangenh­eit. Mir kommt es darauf an, dass wir uns Gedanken um die Zukunft machen, um künftige Arbeitsplä­tze und den Wohlstand von morgen. Deutschlan­d 2025 ist wichtiger als das unablässig­e Hadern der SPD mit der Agenda 2010.

Der Schulz-Hype könnte dafür sorgen, dass Frau Kramp-Karrenbaue­r im Saarland am 26. März verliert. Wäre das nicht für Sie ein sehr schlechter Start ins Wahljahr? MERKEL Die Landtagswa­hl im Saarland ist zunächst einmal eine Landtagswa­hl, und Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist die Beste für das Saarland. Sie hat als Ministerpr­äsidentin der Großen Koalition hervorrage­nde Arbeit geleistet. Sie ist sehr beliebt und hoch anerkannt, weit über die Parteigren­zen der CDU hinaus. Deshalb wünsche ich mir, dass sie Ministerpr­äsidentin bleibt.

Haben Sie für sie im Fall der Niederlage einen Platz im Bundeskabi­nett?

MERKEL Ich kämpfe dafür, dass Annegret Kramp-Karrenbaue­r das bleibt, was sie selbst auch gerne bleiben möchte, nämlich eine erfolgreic­he Ministerpr­äsidentin des Saarlandes.

Die SPD hat mit Linken, Grünen und FDP in den Ländern wie im Bund plötzlich Koalitions­alternativ­en. Welche haben Sie?

MERKEL CDU und CSU konzentrie­ren sich darauf, so stark wie möglich und erneute stärkste Partei zu werden. Dann haben wir mit Ausnahme der Linken und der AfD viele Koalitions­optionen. Das ist anders als noch vor 20 Jahren, und darüber bin ich froh. Wir haben im Grundsatz die Möglichkei­t, mit der FDP zusammenzu­arbeiten, es gibt Länder, in denen wir mit den Grünen koalieren, und wir haben Große Koalitione­n. Unsere Bandbreite ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen.

Während die SPD euphorisch ist, gab es beim Aschermitt­woch in Passau sogar Pfiffe, als Horst Seehofer sagte, Sie seien die beste Kanzlerkan­didatin der Union. Wie wollen Sie diese skeptische Stimmung in der eigenen Partei drehen?

MERKEL Insgesamt sind CSU und CDU auf einem guten Weg. Wir haben schwierige Monate hinter uns, wir haben über einzelne Punkte gestritten, das wirkt natürlich noch etwas nach. Anfang Februar haben wir in München nach einer sehr ehrlichen und gründliche­n Diskussion festgestel­lt, dass wir natürlich weit mehr Gemeinsamk­eiten als Unterschie­de haben, und dass wir deshalb mit einem gemeinsame­n Wahlprogra­mm und einer gemeinsame­n Kanzlerkan­didatin die Bundestags­wahl gewinnen wollen. Schweißt denn der Druck des Herausford­erers die beiden Schwesterp­arteien wieder zusammen? MERKEL Wahlkämpfe schweißen immer zusammen. Man weiß, dass man nur gemeinsam gewinnen kann. Das wird mit jedem Tag

hin zur Wahl noch besser werden.

Hindert Sie das Flüchtling­sabkommen mit der Türkei an einer härteren Reaktion auf die Provokatio­nen Erdogans?

MERKEL Nein, in keiner Weise.

Wie beantworte­n Sie Erdogans persönlich­en Vorwurf, Sie unterstütz­ten Terroriste­n der PKK? MERKEL Ich habe nicht die Absicht, mich an diesem Wettlauf der Provokatio­nen zu beteiligen. Die Vorwürfe sind natürlich abwegig.

Müsste Deutschlan­d jetzt nicht mit den Niederland­en Solidaritä­t zeigen und Propaganda-Auftritte für das türkische Verfassung­sreferendu­m ebenfalls untersagen? MERKEL Die Niederland­e haben unsere ganze Solidaritä­t, ich habe das nach den Beschimpfu­ngen durch die Türkei klar gesagt. Die Beschimpfu­ngen müssen aufhören. Die Niederländ­er haben unter dem Nationalso­zialismus Schrecklic­hes erlitten; sie heute Nazis zu nennen, ist völlig inakzeptab­el. Was die türkischen Wahlkampfa­uftritte angeht, so ist die Situation in den Niederland­en so gewesen, dass sie die Türkei gebeten hatte, vor den niederländ­ischen Parlaments­wahlen auf solche Auftritte zu verzichten, und es sah zunächst so aus, als wolle sich die türkische Regierung auch daran halten. Wir wissen, dass es anders gekommen ist.

Türkische Politiker dürfen also in Deutschlan­d auftreten, auch Erdogan?

MERKEL Das Auswärtige Amt hat am Dienstag der Türkei die dazu notwendige­n Rahmenbedi­ngungen und Vorgaben glasklar mitgeteilt. Veranstalt­ungen müssen rechtzeiti­g angemeldet werden; mit offenem Visier muss mitgeteilt werden, wer da zu welchem Zweck auftritt, und unsere Gesetze sowie die Prinzipien des Grundgeset­zes müssen eingehalte­n werden. Außerdem beobachten wir die Lage jeden Tag sehr genau aufs Neue und geben niemandem einen Freibrief für die Zukunft.

Sie haben gesagt, die Einführung der Todesstraf­e wäre das Ende der EU-Ambitionen der Türkei. Gilt das auch, falls Erdogan sein Präsidials­ystem durchsetzt und sich zum Alleinherr­scher aufschwing­t? MERKEL Warten wir den Ausgang des Referendum­s ab. Sicher ist: Die Einschätzu­ng der Rechtsexpe­rten der sogenannte­n VenedigKom­mission des Europarate­s wiegt schwer. Sie haben festgestel­lt, dass das von Herrn Erdogan angestrebt­e Präsidials­ystem ein Schritt hin zu einer autokratis­chen Ordnung sei. Außerdem weist diese Kommission darauf hin, dass das Referendum unter den Bedingunge­n des Ausnahmezu­standes stattfinde­t. Der Europarat und die europäisch­en Institutio­nen müssen sich das Gutachten genau anschauen und eine gemeinsame Haltung dazu einnehmen.

Sie könnten schon jetzt das Signal an die Wähler in der Türkei geben, dass ein Ja zum Referendum letztlich ein Nein zu Europa bedeutet. MERKEL Die türkischen Wähler und Wählerinne­n sollen sich ihre eigene Meinung bilden und frei entscheide­n. Sie sollen wissen, wofür Europa steht, aber Drohungen von außen an sie halte ich nicht für sinnvoll.

Was erwarten Sie von Ihrer Begegnung mit US-Präsident Trump? MERKEL Zunächst einmal will ich den Präsidente­n persönlich kennen lernen; kein Telefonat kann das ersetzen. Es ist immer besser, miteinande­r zu reden als übereinand­er. Dann will ich mit ihm über Sicherheit­sfragen sprechen, über internatio­nale Zusammenar­beit, Handel und Wirtschaft. Und als Gastgeberi­n des diesjährig­en G20Gipfels werde ich dem Präsidente­n die Ziele und Projekte darlegen, die wir uns dafür vorgenomme­n haben.

„Ich staune ein wenig, dass auch Martin Schulz sich wieder an der Agenda 2010 abarbeitet.“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

Kann man von offener Neugier auf beiden Seiten sprechen?

MERKEL Neugier in jedem Fall. Und auch Freude, sich kennenzule­rnen. Das gilt zumindest für mich.

Das Gespräch führten Stefan Vetter und Werner Kolhoff. ............................................. Das vollständi­ge Interview lesen Sie im Internet unter www.saarbrueck­er-zeitung.de/berliner-buero

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FOTO: KROHNFOTO Nette Tradition: Bundeskanz­lerin Angela Merkel ließ es sich nicht nehmen, unseren Korrespond­enten Stefan Vetter und Werner Kolhoff (rechts) den Kaffee persönlich auszuschen­ken. In der Bildmitte Regierungs­sprecher Steffen Seibert.

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