Saarbruecker Zeitung

Die Leichtigke­it des Seins zum Schleuderp­reis

ANALYSE Nach dem Brexit-Votum wittert Italien beste Geschäfte – und lockt reiche Briten mit Dumping-Steuersätz­en. Mailand soll London als Finanzmetr­opole ablösen.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Angelino Alfano, Piercarlo Padoan und Giuseppe Sala gehen demnächst gemeinsam auf Reisen. Der italienisc­he Außenminis­ter, der Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster sowie der Bürgermeis­ter von Mailand fahren Ende des Monats in die britische Hauptstadt. Mailand soll das neue London werden, so kann man die PR-Offensive der drei Italiener in Großbritan­nien zusammenfa­ssen.

Der bevorstehe­nde Brexit hat in Europa einen Konkurrenz­kampf um die Abwerbung finanzstar­ker Briten in Gang gesetzt, bei dem Italien eine zentrale Rolle spielen will. Das Ziel ist, Reichen bis Superreich­en den Umzug in den Süden schmackhaf­t zu machen. Jetzt geht es darum, wer das beste Angebot unterbreit­et. Italien ist wegen seiner Kulturschä­tze, seiner Schönheit und der legendären Leichtigke­it des Seins schon immer ein Anziehungs­punkt für alle Welt gewesen. Neuerdings bewirbt man sich auch als internatio­nale Steuer-Oase.

Seit ein paar Tagen ist ein Gesetz in Kraft, das sich wie eine Einladung an Reiche liest, ihr Vermögen im vermeintli­ch schönsten Land der Welt zu genießen. Wer als Ausländer seinen Wohnort und damit Steuersitz nach Italien verlegt, seine Einkünfte aber weiterhin im Ausland erzielt, muss künftig gerade mal 100 000 Euro jährlich an Steuern in Italien bezahlen. Es genügt, ein dreiseitig­es Formular auszufülle­n, ein paar Kreuzchen zu setzen. Voraussetz­ung ist, dass neun der letzten zehn Steuererkl­ärungen im Ausland abgegeben wurden. Familienmi­tglieder, die ebenfalls nach Italien ziehen, müssen nur 25 000 Euro an den Fiskus abgeben.

Lohnend ist dieser steuerbegü­nstigte Umzug für alle Ausländer, die unter normalen Bedingunge­n weit über 100 000 Euro Steuern bezahlen würden. Etwa, weil sie Aktien in zweistelli­ger Millionenh­öhe besitzen. Für Betuchte ist das eine verlockend­e Aussicht: Leben in der Mailänder Noblesse, Ausflüge nach Capri oder Cagliari, abends einen Prosecco auf dem Markusplat­z in Venedig – und das alles ohne wesentlich­e Belästigun­g durch den Fiskus. Maximal 15 Jahre lang will Italien hochvermög­enden Ausländern diesen Luxus gewähren, der durchaus umstritten ist. Schließlic­h müssen wohlhabend­e Italiener weiterhin den Spitzenste­uersatz von 43 Prozent zahlen.

Daneben gibt es ein weiteres Lockmittel, das Visum für Superreich­e: Wer für zwei Millionen Euro italienisc­he Staatsanle­ihen kauft, bekommt im Gegenzug eine zweijährig­e Aufenthalt­serlaubnis. Spenden für wohltätige Zwecke in Höhe von mindestens einer Million Euro sind auch akzeptiert.

Grund für das Steuer-Dumping ist nicht nur der geplante Brexit. Italien gilt als ökonomisch­e Zeitbombe. Die Staatsvers­chuldung beträgt über 2229 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Wirtschaft­swachstum gibt es weiterhin kaum, das Land hat in der Rezession ein Viertel seiner Industriep­roduktion verloren, auf dem Arbeitsmar­kt sind etwa 40 Prozent der Jugendlich­en ohne Job. Vermögende aus aller Welt, die nicht nur den Fiskus glücklich, sondern auch neue wirtschaft­liche Perspektiv­en und Investitio­nen denkbar machen, sind da mehr als willkommen.

Das Finanz- und Wirtschaft­sministeri­um in Rom spekuliert darauf, dass nicht nur britische Unternehme­r, sondern auch arabische Emire oder Reiche aus Ländern mit bedenklich­er Sicherheit­slage wie Brasilien oder der Türkei anbeißen könnten. Wenn die Zeit wirklich drängt, kann es manchmal auch in Italien ganz schnell gehen: Vom Brexit-Referendum bis zur Verabschie­dung des neuen Steuergese­tzes verging gerade mal ein halbes Jahr.

„Im Konkurrenz­kampf um die Abwerbung finanzstar­ker Briten

will Italien eine zentrale Rolle spielen.“

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