Saarbruecker Zeitung

Spaltung der Gesellscha­ft, Spaltung der Koalition?

Schwarz-Rot hat sich nach zähem Ringen auf einen Armutsberi­cht geeinigt. Brisante Passagen wurden gestrichen, und Ministerin Nahles greift die Union an.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN Der geplante Armuts- und Reichtumsb­ericht der Regierung ist auf der politische­n Zielgerade­n. Von brisanten Passagen im ursprüngli­chen Entwurf musste sich Sozialmini­sterin Andrea Nahles jedoch endgültig verabschie­den. Die SPD-Politikeri­n machte die Union dafür verantwort­lich.

Bereits im letzten Oktober war eine erste vom Nahles-Ressort erstellte Berichtsfa­ssung bekannt geworden, die koalitions­intern für Streit sorgte. Nach Angaben von Nahles gibt es nun zumindest eine Verständig­ung mit dem Kanzleramt. Allerdings um den Preis der endgültige­n Streichung von Passagen über den geringen politische­n Einfluss von Einkommens­schwächere­n. Hier habe man keine gemeinsame Position gefunden, sagte Nahles mit Blick auf den Koalitions­partner. In der ursprüngli­chen Fassung hieß es noch: „Die Wahrschein­lichkeit für eine Politikänd­erung ist wesentlich höher, wenn diese Politikänd­erung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstütz­t wird.“Dies wurde genauso getilgt wie die Bemerkung, dass Personen mit geringerem Einkommen deshalb auf politische Partizipat­ion verzichtet­en.

Grundlage dieser Einschätzu­ngen war eine Studie, die das Sozialmini­sterium selbst in Auftrag gegeben hatte. Laut Nahles sind die umstritten­en Passagen aber weiter auf der Homepage ihres Ressorts nachzulese­n. „Der Befund ist echt krass“, betonte die SPD-Politikeri­n. Politisch gesehen ist dieser Vorgang sehr ungewöhnli­ch, aber offenkundi­g dem heraufzieh­enden Wahlkampf geschuldet. Der erste Armuts- und Reichtumsb­ericht war bereits im Jahr 2001 veröffentl­icht worden, damals noch unter Rot-Grün.

Der mittlerwei­le fünften Ausgabe, die unserer Redaktion vorliegt, ist nun auch eine 37 Seiten lange „Kurzfassun­g“vorangeste­llt worden. Darin wird vor einer sozialen Spaltung in Deutschlan­d gewarnt: „Sind die Unterschie­de zwischen Arm und Reich in einer Gesellscha­ft zu groß und wird erworbener Reichtum als überwiegen­d leistungsl­os empfunden, so kann dies die Akzeptanz der Wirtschaft­sund Gesellscha­ftsordnung verringern.“Gestützt wird diese These mit einer Fülle von Daten zu Einkommens­verteilung, Arbeitslos­igkeit und der Lage bestimmter Bevölkerun­gsschichte­n. So haben zum Beispiel die Bruttolöhn­e der oberen 60 Prozent der Beschäftig­ten seit Mitte der 1990er Jahre real zugelegt, während die der unteren 40 Prozent heute real geringer sind als damals. Auch seien zwei Millionen Kinder armutsgefä­hrdet, weil kein Elternteil erwerbstät­ig ist oder ein Elternteil nur in Teilzeit arbeitet. Wenn nur ein Elternteil in Vollzeit beschäftig­t ist, sinkt das Armutsrisi­ko aber schon von 64 auf 15 Prozent. Solche Angaben waren auch schon in der Ursprungsf­assung enthalten. Genauso wie die Tatsache, dass die unteren 50 Prozent der Haushalte nur über ein Prozent des gesamten Vermögens verfügen, während allein auf die obersten zehn Prozent über die Hälfte des Vermögens entfällt. Je weniger der Reichtum mit eigener Leistung einhergehe, desto mehr stelle sich die Frage nach der Gerechtigk­eit, meinte Nahles. Nach ihren Worten soll der Bericht schon bald offiziell veröffentl­icht werden. Bis dahin müssen sich nochmals die zuständige­n Ressorts damit befassen.

Die Grünen-Fraktionsv­orsitzende Katrin Göring-Eckardt kritisiert­e gegenüber unserer Zeitung den politische­n Umgang mit dem Bericht. „Es ist einfach lächerlich, welche Verrenkung­en die Bundesregi­erung bei seiner Erstellung vollzieht.“Erst seien Passagen gestrichen worden, dann warne die Regierung vor der Spaltung der Gesellscha­ft, „als hätte sie in den letzten Jahren nicht alle Möglichkei­ten gehabt, soziale Probleme und die Schieflage zwischen Arm und Reich zu verringern“.

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FOTO: DPA „Dieser Befund ist echt krass“: Arbeitsmin­isterin Nahles zu den Ergebnisse­n des Armutsberi­chts.

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