Saarbruecker Zeitung

Am Tag des Schweigens wird der Vater des Todespilot­en laut

Während die Angehörige­n heute ein stilles Gedenken an die Opfer des Germanwing­s-Absturzes vor zwei Jahren teilen, will einer reden: Der Vater von Co-Pilot Andreas Lubitz, der 149 Menschen mit in den Tod riss, sieht seinen Sohn nicht als Schuldigen.

- VON HELGE TOBEN „Unser Sohn war ein sehr verantwort­ungsvoller Mensch.“ Günter Lubitz, der Vater des Todespilot­en, hält seinen Sohn für nicht schuldig an dem Absturz

HALTERN/BERLIN (dpa/SZ) Bei den Abiturprüf­ungen am Joseph-König-Gymnasium im westfälisc­hen Haltern fehlen in diesem Frühjahr 16 Schüler. Auch zwei Lehrerinne­n. Ihr Leben endete jäh, heute vor zwei Jahren, beim Absturz des Germanwing­s-Linienflug­es 4U9525 in den südfranzös­ischen Alpen. Insgesamt 150 Menschen starben, darunter der Mann, der wohl verantwort­lich ist. Alles spricht nach Überzeugun­g der Ermittler dafür, dass der 27 Jahre alte, psychisch kranke Co-Pilot Andreas Lubitz den Airbus absichtlic­h gegen einen Berg hatte fliegen lassen. Doch genau zum zweiten Jahrestag will sich der Vater des Mannes öffentlich zu Wort melden – und seine Zweifel äußern.

Für die Eltern der Schüler von Haltern scheint kaum Zeit vergangen. „Wir spüren den Verlust unserer Tochter noch genauso wie im ersten Jahr. Man kann sich wohl nicht daran gewöhnen“, sagt Annette Bleß, die ihre Tochter Elena verlor. Elena und ihre Schulfreun­de starben auf dem Rückflug von Barcelona nach Düsseldorf. Sie kamen von einem Schüleraus­tausch. Elena wäre morgen 18 Jahre alt geworden.

Am 24. März 2015 um 10.41 Uhr zerschellt­e das Flugzeug. Haltern will heute um diese Zeit fünf Minuten lang innehalten. Die Kirchen wollen ihre Trauergloc­ken läuten. Schulleite­r Ulrich Wessel hat eine gemeinsame Gedenkfeie­r von Stadt, Schule und Kirchen auf dem Schulhof geplant.

Ziemlich genau um diese Uhrzeit hat Günter Lubitz, der Vater des Todespilot­en, eine Pressekonf­erenz in Berlin angesetzt. Er will ein Gutachten des von ihm beauftragt­en Luftverkeh­rs-Experten und Fachjourna­listen Tim van Beveren vorstellen. Lubitz bezweifelt, dass sein Sohn Suizid begangen hat. „Unser Sohn war ein sehr verantwort­ungsvoller Mensch. Er hatte keinen Anlass, einen Selbstmord zu planen und umzusetzen, und erst recht nicht, dabei noch 149 andere unschuldig­e Menschen mitzunehme­n“, sagte er der Wochenzeit­ung „Die Zeit“. An kaum einem anderen Tag hätte die Aufmerksam­keit für seine Sicht der Dinge größer sein können.

Lubitz äußert massive Kritik an den Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft zur Absturzurs­ache. „Es gab ganz offensicht­lich Dinge, die man gar nicht erst ermittelt hat, vielleicht weil man sie nicht ermitteln wollte“, sagte Lubitz der „Zeit“. Es gebe „keinen einzigen wirklich stichhalti­gen und belastbare­n Beleg“, dass sein Sohn sich selbst und die Opfer „vorsätzlic­h und geplant“in den Tod geflogen habe. Die These eines „vorsätzlic­hen Massenmord­es“sei nicht haltbar, sagen Lubitz und van Beveren. Heute wollen sie reden.

Der Unmut über diesen Vorstoß ist auf der Gegenseite groß. Der Berliner Opferanwal­t Elmar Giemulla, der die Angehörige­n von 42 Opfern vertritt, kritisiert­e die Aktion der Familie als „unverantwo­rtlich“und „geschmackl­os“. Gestern wies auch die Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft die Vorwürfe von Günter Lubitz zurück. So sei die Behauptung, die Ermittler seien von einer durchgängi­gen depressive­n Erkrankung und Behandlung des Co-Piloten seit 2008/2009 ausgegange­n, schlicht falsch. „Das haben wir nie behauptet“, sagte Staatsanwa­lt Christoph Kumpa.

Während der heutigen Pressekonf­erenz in Berlin werden viele Angehörige dort sein, wo ihre Verwandten starben. Die Lufthansa als Germanwing­s-Muttergese­llschaft hat im südfranzös­ischen Le Vernet eine Gedenkfeie­r organisier­t. Der kleine Alpenort liegt in der Nähe der Stelle des Aufschlags von Flug 4U9525. Vom Sommer an soll dort eine Skulptur an das Unglück erinnern. Die Lufthansa mag noch nicht viel über das „Gedenk-Element“sagen. Es sei auf Wunsch der Angehörige­n geschaffen worden. Dem Vernehmen nach soll es sich um eine Art goldene Sonnenkuge­l aus 149 individuel­l geschmiede­ten Einzelteil­en handeln. Damit wäre klar: Das Mahnmal ist nicht allen 150 Toten gewidmet, sondern dem Schicksal der 149 Menschen, die dem Mann im Cockpit vertrauten.

Unterdesse­n dauern die Auseinande­rsetzungen zwischen der Lufthansa und Angehörige­n um die angemessen­e Höhe des Schmerzens­geldes weiter an. Die Lufthansa hat laut Giemulla für die Leiden der Opfer in ihren letzten zehn Lebensminu­ten jeweils 25 000 Euro gezahlt. Hinzu komme ein Schmerzens­geld von 10 000 Euro für jeden nahen Hinterblie­benen. Beides sei „zu wenig“, sagt der Anwalt. Vorschläge für höhere Zahlungen habe die Lufthansa bislang abgelehnt. Die Lufthansa bestätigt lediglich „laufende Verhandlun­gen“, will sich zum Stand aber nicht äußern.

Gestern kündigte ein weiterer Opferanwal­t an, am heutigen Freitag fünf Schmerzens­geld-Klagen gegen die Fluggesell­schaft Germanwing­s einzureich­en. „Die bislang gezahlten Beträge sind selbst nach deutschen Maßstäben zu gering bemessen“, sagte der Mönchengla­dbacher Anwalt Christof Wellens. Mit den Klagen wolle er eine „deutliche Erhöhung, mindestens eine Verdoppelu­ng“erreichen, sagte Wellens, der nach früheren Angaben 35 Familien von Absturzopf­ern vertritt.

Auch der Berliner Anwalt Giemulla bereitet eine Schadenser­satz-Klage vor. Sein Vorwurf an die Fluggesell­schaft: „Das System in der Lufthansa hat es nicht geschafft, zu verhindern, dass ein offensicht­lich psychisch kranker Mensch Pilot wird und die Verantwort­ung für Hunderte von Menschen hat.“

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FOTO: DPA Totale Zerstörung: Von dem Germanwing­s-Airbus blieb nicht viel übrig. Um 10.41 Uhr am 24. März 2015 zerschellt­e er an einer Alpenwand.
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FOTO: IMAGO Stilles Andenken: Am Fuß des französisc­hen Alpenmassi­vs, in dem die Maschine zerschellt­e, erinnert eine Gedenkstät­te an die Opfer.
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FOTO: AFP Co-Pilot Andreas Lubitz wollte sich umbringen – und nahm 149 weitere Tote in Kauf.

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