Linke und SPD im Abrüstungseifer
ANALYSE Warum Martin Schulz derzeit Oskar Lafontaine lobt und der Saar-Linke den Bundes-Genossen. Und warum das für beide Parteien riskant sein kann.
BERLIN Für die Linkspartei schien der politische Hauptgegner lange Zeit die SPD zu sein. Mit großer Beharrlichkeit wurden die Genossen von der Konkurrenz als neoliberale und unsoziale Vereinigung gebrandmarkt. Doch dann kam Martin Schulz, und die Tonlage änderte sich. Auch bei Sahra Wagenknecht. Die Fraktionschefin der Linken adelte den Überflieger von der SPD jüngst zum „Integrator der Wechselstimmung“im Land.
Vorläufiger Höhepunkt der verbalen Abrüstung ist der auffallend pflegliche Umgang Oskar Lafontaines mit Schulz. Der Mann sei ein „guter Redner“, zu ihm habe er einen „guten Gesprächskontakt“, lobt Lafontaine den SPD-Kanzlerkandidaten jetzt in einem Interview. Dabei schien gerade Lafontaine auf ewigen Krawall mit den Sozialdemokraten gepolt, nachdem er ihnen 2005 den Rücken gekehrt und sich fortan dem Werden und Wachsen der Linkspartei verschrieben hatte. Und Schulz selbst? Der übte sich umgekehrt in offenen Sympathiebekundungen für Lafontaine. Er könne sich daran erinnern, dass dieser das Saarland von 1985 bis 1998 „relativ erfolgreich“geführt habe, meinte Schulz vor ein paar Tagen anerkennend.
Offenbar ist Lafontaine also kein SPD-Schreck mehr. Aber Schulz setzte noch eins drauf: Als saarländischer Landespolitiker verfüge Lafontaine „ganz sicher über große Erfahrung, die er in einer Landesregierung auch mit einbringen kann“. Damit ist klar, dass eine rotrote Koalition nach dem kommenden Wahlsonntag an der Saar – so es rechnerisch dafür reicht – auch den politischen Segen des SPDKanzlerkandidaten hätte.
Auf Bundesebene liegen die Dinge komplizierter. Für den Urnengang im Herbst muss die Linke befürchten, dass Schulz mit einem Gerechtigkeitswahlkampf punktet – auch bei dunkelroten Wählern. Nach Einschätzung des Parteienforschers Jürgen Falter wird der Umgang mit Schulz deshalb zur Gratwanderung für die Linkspartei. „Sie darf sich nicht so an ihm abarbeiten, dass er demontiert wird. Denn Schulz bringt am ehesten eine rot-rot-grüne Mehrheit zustande“, sagte Falter der SZ. Die Linke müsse aber auch ihre eigene Wählerschaft bei der Stange halten. „Ganz nach der Devise, nur mit uns gibt es einen linken Politikwechsel. Und dazu muss sie programmatisch auf Distanz zu Schulz gehen.“
In gewisser Hinsicht praktizieren die Linken das auch bereits, indem sie darauf verweisen, dass den Ankündigungen von Schulz endlich auch Taten folgen müssten. Obendrein forderte Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch eine klare Ansage von Schulz, nicht in ein Kabinett unter Angela Merkel zu gehen. Genau die wird Schulz nicht machen. Genauso wenig, wie die SPD vor der Wahl noch eben ein paar Gesetze mit Linken und Grünen verabschieden wird, was Bartsch ebenfalls gefordert hatte. Denn damit würde die SPD ohne Not einen vorzeitigen Koalitionsbruch mit der Union riskieren und sich dem Vorwurf mangelnder politischer Zuverlässigkeit aussetzen. Einer möglichen Koalition aus SPD, Linken und Grünen nach der Bundestagswahl, muss das alles keinen Abbruch tun. „Schulz ist ein Machtpolitiker. Für die Kanzlerschaft nimmt er auch Rot-RotGrün in Kauf“, meinte Falter.
Eine gute Gelegenheit für entsprechende Lockerungsübungen wäre übrigens der 25. April. Da ist ein Meinungsaustausch von Bundestagsabgeordneten der SPD, Linken und Grünen geplant. Als Gäste werden unter anderen Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erwartet. Beide sollen über ihre Erfahrungen an der Spitze rot-rot-grüner Landesregierungen berichten.
„Die Linke darf sich nicht so an Schulz abarbeiten, dass er demontiert wird.“
Jürgen Falter,
Parteienforscher