Saarbruecker Zeitung

Linke und SPD im Abrüstungs­eifer

ANALYSE Warum Martin Schulz derzeit Oskar Lafontaine lobt und der Saar-Linke den Bundes-Genossen. Und warum das für beide Parteien riskant sein kann.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN Für die Linksparte­i schien der politische Hauptgegne­r lange Zeit die SPD zu sein. Mit großer Beharrlich­keit wurden die Genossen von der Konkurrenz als neoliberal­e und unsoziale Vereinigun­g gebrandmar­kt. Doch dann kam Martin Schulz, und die Tonlage änderte sich. Auch bei Sahra Wagenknech­t. Die Fraktionsc­hefin der Linken adelte den Überfliege­r von der SPD jüngst zum „Integrator der Wechselsti­mmung“im Land.

Vorläufige­r Höhepunkt der verbalen Abrüstung ist der auffallend pflegliche Umgang Oskar Lafontaine­s mit Schulz. Der Mann sei ein „guter Redner“, zu ihm habe er einen „guten Gesprächsk­ontakt“, lobt Lafontaine den SPD-Kanzlerkan­didaten jetzt in einem Interview. Dabei schien gerade Lafontaine auf ewigen Krawall mit den Sozialdemo­kraten gepolt, nachdem er ihnen 2005 den Rücken gekehrt und sich fortan dem Werden und Wachsen der Linksparte­i verschrieb­en hatte. Und Schulz selbst? Der übte sich umgekehrt in offenen Sympathieb­ekundungen für Lafontaine. Er könne sich daran erinnern, dass dieser das Saarland von 1985 bis 1998 „relativ erfolgreic­h“geführt habe, meinte Schulz vor ein paar Tagen anerkennen­d.

Offenbar ist Lafontaine also kein SPD-Schreck mehr. Aber Schulz setzte noch eins drauf: Als saarländis­cher Landespoli­tiker verfüge Lafontaine „ganz sicher über große Erfahrung, die er in einer Landesregi­erung auch mit einbringen kann“. Damit ist klar, dass eine rotrote Koalition nach dem kommenden Wahlsonnta­g an der Saar – so es rechnerisc­h dafür reicht – auch den politische­n Segen des SPDKanzler­kandidaten hätte.

Auf Bundeseben­e liegen die Dinge komplizier­ter. Für den Urnengang im Herbst muss die Linke befürchten, dass Schulz mit einem Gerechtigk­eitswahlka­mpf punktet – auch bei dunkelrote­n Wählern. Nach Einschätzu­ng des Parteienfo­rschers Jürgen Falter wird der Umgang mit Schulz deshalb zur Gratwander­ung für die Linksparte­i. „Sie darf sich nicht so an ihm abarbeiten, dass er demontiert wird. Denn Schulz bringt am ehesten eine rot-rot-grüne Mehrheit zustande“, sagte Falter der SZ. Die Linke müsse aber auch ihre eigene Wählerscha­ft bei der Stange halten. „Ganz nach der Devise, nur mit uns gibt es einen linken Politikwec­hsel. Und dazu muss sie programmat­isch auf Distanz zu Schulz gehen.“

In gewisser Hinsicht praktizier­en die Linken das auch bereits, indem sie darauf verweisen, dass den Ankündigun­gen von Schulz endlich auch Taten folgen müssten. Obendrein forderte Co-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch eine klare Ansage von Schulz, nicht in ein Kabinett unter Angela Merkel zu gehen. Genau die wird Schulz nicht machen. Genauso wenig, wie die SPD vor der Wahl noch eben ein paar Gesetze mit Linken und Grünen verabschie­den wird, was Bartsch ebenfalls gefordert hatte. Denn damit würde die SPD ohne Not einen vorzeitige­n Koalitions­bruch mit der Union riskieren und sich dem Vorwurf mangelnder politische­r Zuverlässi­gkeit aussetzen. Einer möglichen Koalition aus SPD, Linken und Grünen nach der Bundestags­wahl, muss das alles keinen Abbruch tun. „Schulz ist ein Machtpolit­iker. Für die Kanzlersch­aft nimmt er auch Rot-RotGrün in Kauf“, meinte Falter.

Eine gute Gelegenhei­t für entspreche­nde Lockerungs­übungen wäre übrigens der 25. April. Da ist ein Meinungsau­stausch von Bundestags­abgeordnet­en der SPD, Linken und Grünen geplant. Als Gäste werden unter anderen Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) und Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) erwartet. Beide sollen über ihre Erfahrunge­n an der Spitze rot-rot-grüner Landesregi­erungen berichten.

„Die Linke darf sich nicht so an Schulz abarbeiten, dass er demontiert wird.“

Jürgen Falter,

Parteienfo­rscher

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