Schlingmanns Leistungs-Bilanz
Die letzte große Regie-Arbeit der Staatstheater-Intendantin steht bevor. Ein Blick zurück auf ihre Schauspiel-Arbeiten.
SAARBRÜCKEN. Als Dagmar Schlingmann (56) vor elf Jahren das Saarländische Staatstheater (SST) übernahm, wollte sie „ein bisschen Straßenstaub“hinein kehren ins bildungsbürgerlich polierte Haus, das ihr Vorgänger zur Glanz-und-Gloria-Adresse des Landes gemacht hatte. Sprich, sie wollte Theater anders, alltäglicher und selbstverständlicher.
Auch Kurt Josef Schildknecht kam, wie Schlingmann, aus dem Sprechtheater, war ein Regie-führender Intendant wie sie. Sein Ding waren antike Stoffe, das ganz große, schwere Menschheitsrad, und er mochte eine erlesene Optik, in der Oper gar Opulenz. Mit all dem dem hatte und hat Schlingmann nichts am Hut. Gerade deshalb engagierte Schildknecht sie als Gastregisseurin, als Gegenpol. 1997 knallte sie, die freie Regisseurin aus Köln, in der Feuerwache einen „Baal“auf die Bühne, der dem Publikum frischen Wind ins Gesicht blies, der aus den großen Theatermetropolen stammte: kraftvoll, rücksichtslos, emotional aufgeheizt, vitalisierend. Nur kein akademisches, blutleeres Theater, dieser Linie ist die Schauspiel-Regisseurin Schlingmann bis heute treu geblieben. Insgesamt 20 Sprechtheater-Arbeiten stehen in ihrer Saarbrücker Bilanz, davon lieferte sie vier bereits vor 2006 ab – allesamt von überdurchschnittlicher Qualität, das war ihr Eintrittsbillet ins Saarbrücker Chefinnen-Zimmer. Zugleich verband sich damit der Anspruch, Schlingmann werde die Stil prägende Regie-Nummer-eins am Haus sein. Und sie ist es geworden, geblieben, selbst wenn ihr Christoph Diem, der Leiter der Sparte 4, künstlerisch ziemlich dicht auf den Fersen ist.
Was aber zeichnet Schlingmanns Arbeiten aus? Allem voran: Sparsamkeit. Schlingmann liebt fette Stoffe, damit sie sie nach Herzenslust ausdünnen kann. Sie liebt formale Strenge, zugleich leistet sie sich Üppigkeit im Detail: Gesten, Blicke, Gags. Doch nie erlaubt sie sich modische Mätzchen oder plumpe Aktualisierungen. Dadurch gewinnen die Stücke wie von selbst an Tiefe und Magie, alles wirkt mit leichter Hand gesteuert, selbst tragische, schwere Geschichten. Exemplarisch stehen dafür Gerhard Hauptmanns „Ratten“(2012) oder auch „Faust“(2009). Letzerer war zweifelsohne ein Regie-Meisterstück. Schlingmann entschlackte und pointierte Goethes Weltgedicht, ohne es zu banalisieren – ein PublikumsFressen.
Zudem geht Schlingmann unpädagogisch und unideologisch vor, inszeniert eher intuitiv als analytisch. Insbesondere Shakespeare-Stücke, nach denen sie gerne greift, vertragen das ausgezeichnet, „Macbeth“(1999) oder der „Sommernachtstraum“(2008). Was nicht heißt, sie inszeniere unpolitisch. Nein, Schlingmann pflegt die Wunschvorstellung eines „präsenten“Theaters, das gesellschaftliche Veränderungen mitgestaltet, aber Belehrung ist nun mal nicht ihr Ding. Sie will nicht schlauer sein als wir, das Publikum. Das macht ihre Produktionen sympathisch und leicht bekömmlich. Selbst der philosophisch tonnenschwere Beckett-Klassiker „Warten auf Godot“ fand kürzlich auf diese Weise mühelos zum Publikum. Erwähnen muss man auch Schlingmanns cleveres Händchen für komische Stoffe:. Was sie aus Brechts vermeintlich ausgelutschter „Kleinbürgerhochzeit“heraus holte an Familien-Aberwitz der allerfeinsten Sorte, das ist kaum zu toppen. Charakteristisch für
Schlingmann ist ihr Faible für auffällige Typen, fürs Schrullige, Schräge, Unkonventionelle bei ihren Schauspielern, seien es Sprechfehler, dialektale Einfärbungen, zu lange oder zu kurze Beine. Perfektion inspiriert sie offensichtlich nicht.
In elf Jahren hat sich die Regisseurin Schlingmann in Saarbrücken jedenfalls keinen echten Flopp geleistet. Jedoch geriet ausgerechnet 2006 die Einstands-Premiere „Brassed off“ziemlich flau und treuherzig. Auch die „Dreigroschenoper“, ein Publikumshit, lahmte enorm, und ihr „Hamlet“, dem Schlingmann ein extravagantes Puppentheater-Spiel überstülpte, wackelte arg. Wofür sich vielleicht eine Erklärung findet: Immer, wenn Schlingmann zu viel will, wird es für sie gefährlich. Fürs Publikum öde und langweilig wird’s dennoch nie. ............................................. „Othello“: