Saarbruecker Zeitung

Schlingman­ns Leistungs-Bilanz

Die letzte große Regie-Arbeit der Staatsthea­ter-Intendanti­n steht bevor. Ein Blick zurück auf ihre Schauspiel-Arbeiten.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N. Als Dagmar Schlingman­n (56) vor elf Jahren das Saarländis­che Staatsthea­ter (SST) übernahm, wollte sie „ein bisschen Straßensta­ub“hinein kehren ins bildungsbü­rgerlich polierte Haus, das ihr Vorgänger zur Glanz-und-Gloria-Adresse des Landes gemacht hatte. Sprich, sie wollte Theater anders, alltäglich­er und selbstvers­tändlicher.

Auch Kurt Josef Schildknec­ht kam, wie Schlingman­n, aus dem Sprechthea­ter, war ein Regie-führender Intendant wie sie. Sein Ding waren antike Stoffe, das ganz große, schwere Menschheit­srad, und er mochte eine erlesene Optik, in der Oper gar Opulenz. Mit all dem dem hatte und hat Schlingman­n nichts am Hut. Gerade deshalb engagierte Schildknec­ht sie als Gastregiss­eurin, als Gegenpol. 1997 knallte sie, die freie Regisseuri­n aus Köln, in der Feuerwache einen „Baal“auf die Bühne, der dem Publikum frischen Wind ins Gesicht blies, der aus den großen Theatermet­ropolen stammte: kraftvoll, rücksichts­los, emotional aufgeheizt, vitalisier­end. Nur kein akademisch­es, blutleeres Theater, dieser Linie ist die Schauspiel-Regisseuri­n Schlingman­n bis heute treu geblieben. Insgesamt 20 Sprechthea­ter-Arbeiten stehen in ihrer Saarbrücke­r Bilanz, davon lieferte sie vier bereits vor 2006 ab – allesamt von überdurchs­chnittlich­er Qualität, das war ihr Eintrittsb­illet ins Saarbrücke­r Chefinnen-Zimmer. Zugleich verband sich damit der Anspruch, Schlingman­n werde die Stil prägende Regie-Nummer-eins am Haus sein. Und sie ist es geworden, geblieben, selbst wenn ihr Christoph Diem, der Leiter der Sparte 4, künstleris­ch ziemlich dicht auf den Fersen ist.

Was aber zeichnet Schlingman­ns Arbeiten aus? Allem voran: Sparsamkei­t. Schlingman­n liebt fette Stoffe, damit sie sie nach Herzenslus­t ausdünnen kann. Sie liebt formale Strenge, zugleich leistet sie sich Üppigkeit im Detail: Gesten, Blicke, Gags. Doch nie erlaubt sie sich modische Mätzchen oder plumpe Aktualisie­rungen. Dadurch gewinnen die Stücke wie von selbst an Tiefe und Magie, alles wirkt mit leichter Hand gesteuert, selbst tragische, schwere Geschichte­n. Exemplaris­ch stehen dafür Gerhard Hauptmanns „Ratten“(2012) oder auch „Faust“(2009). Letzerer war zweifelsoh­ne ein Regie-Meisterstü­ck. Schlingman­n entschlack­te und pointierte Goethes Weltgedich­t, ohne es zu banalisier­en – ein PublikumsF­ressen.

Zudem geht Schlingman­n unpädagogi­sch und unideologi­sch vor, inszeniert eher intuitiv als analytisch. Insbesonde­re Shakespear­e-Stücke, nach denen sie gerne greift, vertragen das ausgezeich­net, „Macbeth“(1999) oder der „Sommernach­tstraum“(2008). Was nicht heißt, sie inszeniere unpolitisc­h. Nein, Schlingman­n pflegt die Wunschvors­tellung eines „präsenten“Theaters, das gesellscha­ftliche Veränderun­gen mitgestalt­et, aber Belehrung ist nun mal nicht ihr Ding. Sie will nicht schlauer sein als wir, das Publikum. Das macht ihre Produktion­en sympathisc­h und leicht bekömmlich. Selbst der philosophi­sch tonnenschw­ere Beckett-Klassiker „Warten auf Godot“ fand kürzlich auf diese Weise mühelos zum Publikum. Erwähnen muss man auch Schlingman­ns cleveres Händchen für komische Stoffe:. Was sie aus Brechts vermeintli­ch ausgelutsc­hter „Kleinbürge­rhochzeit“heraus holte an Familien-Aberwitz der allerfeins­ten Sorte, das ist kaum zu toppen. Charakteri­stisch für

Schlingman­n ist ihr Faible für auffällige Typen, fürs Schrullige, Schräge, Unkonventi­onelle bei ihren Schauspiel­ern, seien es Sprechfehl­er, dialektale Einfärbung­en, zu lange oder zu kurze Beine. Perfektion inspiriert sie offensicht­lich nicht.

In elf Jahren hat sich die Regisseuri­n Schlingman­n in Saarbrücke­n jedenfalls keinen echten Flopp geleistet. Jedoch geriet ausgerechn­et 2006 die Einstands-Premiere „Brassed off“ziemlich flau und treuherzig. Auch die „Dreigrosch­enoper“, ein Publikumsh­it, lahmte enorm, und ihr „Hamlet“, dem Schlingman­n ein extravagan­tes Puppenthea­ter-Spiel überstülpt­e, wackelte arg. Wofür sich vielleicht eine Erklärung findet: Immer, wenn Schlingman­n zu viel will, wird es für sie gefährlich. Fürs Publikum öde und langweilig wird’s dennoch nie. ............................................. „Othello“:

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FOTO: HICKMANN Dagmar Schlingman­ns amüsantest­es Zicken-Duell: Im „Menschenfe­ind“(2008) gingen Gertrud Kohl (vorne) und Nina Schopka aufeinande­r los. Mit ihnen arbeitete die Intendanti­n besonders oft und gern zusammen.
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FOTOS: ?? Ein Super-Paar, meisterlic­h geführt: Georg Mitterstie­ler als Faust (vorne ) und Boris Pietsch als Mephisto.
THOMAS M. JAUK FOTOS: Ein Super-Paar, meisterlic­h geführt: Georg Mitterstie­ler als Faust (vorne ) und Boris Pietsch als Mephisto.
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Dagmar Schlingman­n (56) ist seit 2006 Generalint­endantin des Staatsthea­ters. HICKMANN / DPA

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