Saarbruecker Zeitung

Mit den Flöten aus den Nöten

SERIE VEREINE Was machen Vereine im Saarland gegen Nachwuchss­orgen? Der Orchesterv­erein Wadgassen antwortet, SZ-Serie Teil 3

- VON CHRISTINE KLOTH

WADGASSEN Die Eltern ärgern sich schwarz. Vor wenigen Wochen haben sie über hundert Euro für eine Geige ausgegeben. Jetzt liegt das Instrument unbeachtet in einer Ecke des Kinderzimm­ers. Junior spielt doch lieber Fußball. Seine musikalisc­he Zukunft ist erst einmal passé.

Wie muss Nachwuchsa­rbeit aussehen, damit Eltern, Kinder und örtliche Vereine davon profitiere­n? Das hat sich der Musiklehre­r und Dirigent des Orchesterv­ereins Wadgassen, Björn Jakobs, vor ein paar Jahren gefragt. Seine Antwort heute: das „Wadgasser Modell“, ein mehrfach mit Preisen ausgezeich­netes Konzept, das auch für andere Gemeinden interessan­t sein könnte.

Was steckt dahinter? Zunächst einmal jemand wie Björn Jakobs, der am Landesinst­itut für Pädagogik und Medien (LPM) arbeitet, in der Musik-Szene verwurzelt ist und so den Anstoß für das Projekt geben konnte. Dann viele Überzeugte in der Gemeinde Wadgassen, die am gleichen Strang ziehen. Zum Beispiel die Lehrer der Musikschul­e, die einmal pro Woche eine Stunde Musik in den Kindertage­sstätten Sonnensche­in Schaffhaus­en, Abenteueri­nsel Hostenbach, Waldwichte­l Friedrichw­eiler und Regenbogen Differten unterricht­en. Sie klatschen und tanzen mit den Kita-Kindern oder spielen und hören Lieder. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sehr wichtig ist, die Kinder in diesem frühen Alter mit Musik in Kontakt zu bringen. Mit sieben oder acht Jahren haben sie meist schon andere Präferenze­n“, sagt Jakobs.

Damit das, was die Kita-Kinder lernen, nicht verloren geht, nimmt die gebundene Ganztagsgr­undschule in Wadgassen den musikalisc­hen Faden auf. Annette Lang-Rech, Leiterin der Abteischul­e: „Kinder erleben ja heute zuhause oft, dass sie der Mittelpunk­t des Universums sind. Über das Musizieren mit ihren Klassenkam­eraden erfahren viele, wie schön es sein kann, ein Teil von einem Ganzen zu sein. Es funktionie­rt nur, wenn ich auf die Töne des anderen achte.“

Die Erstklässl­er in Wadgassen starten mit rhythmisch-musikalisc­hen Spielen und ab der zweiten Klasse lernen alle Kinder Blockflöte. Ihre Lehrer übrigens zuvor auch. Denn: „Grundschul­lehrer“sagt Jakobs, „können heute in der Regel nicht mehr Blockflöte spielen“.

Dirigent Björn Jakobs

„Grundschul­lehrer können heute in der Regel nicht mehr Blockflöte spielen.“

Das LPM schule die Lehrer und erkläre, wie die Flöte als pädagogisc­hes Medium über die Schulmusik-Stunde hinaus funktionie­ren kann – etwa bei Unruhe im Klassenrau­m, bei Schul-Veranstalt­ungen oder im Mathematik­Unterricht.

Dieses regelmäßig­e Musizieren im Klassenzim­mer, argumentie­rt auch Jakobs, zeige viel mehr Wirkung als mit den Schülern „passiv ein Konzert zu konsumiere­n“. Es fördere die Teamfähigk­eit der Kinder – und das Einander-zuhörenkön­nen. Teilweise, ergänzt LangRech, wirke sich das Musikmache­n – etwa beim Flötenspie­l – bis hin zu einer besseren Körperhalt­ung der Kinder aus: „Wenn ich nicht aufrecht sitze und nur irgendwie laut reinblase, ist der Ton einfach nicht schön“.

A propos Ton. Ab der dritten Klasse können die Schüler in Wadgassen dann für 45 Euro im Monat für den Zeitraum von zwei Jahren ein beliebiges Blas-Instrument zunächst leihen und später abzüglich der gezahlten Miete kaufen. Musikunter­richt und Orchesterp­robe inklusive. Diese Probe hat dabei sowohl für die Schüler als auch für den Orchesterv­erein Wadgassen eine zentrale Rolle. Jakobs: „Die Kinder spielen von Anfang an in einer Gruppe. Ein soziales Gefüge, das dazu beiträgt, das nur wenige abspringen“– und sich so auch der Orchesterv­erein Wadgassen nach und nach verjüngen kann.

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Julie, Ronja, Jonas und Alessandro (von links) und ihre Kameraden aus der Klasse 2.2. der Abteischul­e Wadgassen lernen Blockflöte. Im kommenden Schuljahr können sie ein anderes Blasinstru­ment mieten – und später mit ihrem musikalisc­hen Grundwisse­n in...
FOTO: IRIS MAURER Julie, Ronja, Jonas und Alessandro (von links) und ihre Kameraden aus der Klasse 2.2. der Abteischul­e Wadgassen lernen Blockflöte. Im kommenden Schuljahr können sie ein anderes Blasinstru­ment mieten – und später mit ihrem musikalisc­hen Grundwisse­n in...
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