SPD-Führung beginnt Flirt mit den Liberalen
Der SPD-Chef schwenkt um: Weil der Traum vom Linksbündnis im Saarland platzte, umgarnt Schulz nun Liberale und Wirtschaft.
BERLIN (dpa) Mit auffälligen Avancen an die FDP hat die SPD-Spitze Debatten über eine Ampelkoalition nach der Bundestagswahl angeheizt. Kanzlerkandidat Martin Schulz betonte die Verdienste der sozialliberalen Regierung von 1969 bis 1982. Sie habe Deutschland „moderner und demokratischer gemacht“. Schulz lobte auch den heutigen FDP-Chef Christian Lindner. Der erklärte: „Ich freue mich, wenn die SPD ihre alten Feindbilder einpackt.“
BERLIN (dpa) Als die FDP 1982 in Bonn die sozialliberale Koalition sprengte und den Untergang von SPD-Kanzler Helmut Schmidt einleitete, da setzte der damals 26 Jahre alte Martin Schulz ein paar Kilometer weiter im beschaulichen Würselen zum Sprung ins Bürgermeisteramt an. Wie viele aufrechte Genossen knabberte Schulz lange daran, dass die liberalen Größen Genscher und Lambsdorff seinerzeit aus SPDSicht Schmidt das Messer in den Rücken stießen und Helmut Kohl den Weg ins Kanzleramt ebneten.
Die Regierungszentrale will Schulz im Herbst nun selbst erobern. Bis zur Saarland-Wahl vor zwei Wochen hätte der 61-Jährige kaum ein Problem damit gehabt, nach dem 24. September mit Linken und Grünen in Angela Merkels Wohnzimmer der Macht einzuziehen. Aber jetzt, da das rot-rote Schreckgespenst und eine starke Regierungschefin der CDU einen unerwarteten Triumph beschert haben, ist vieles anders. Nun ist sozialliberal für den pragmatischen Schulz eine Machtoption, die weniger provoziert als Rot-Rot-Grün und der Union keine Angriffsfläche für eine neue „Rote-Socken-Kampagne“bietet.
„Die sozialliberale Koalition auf Bundesebene hat Deutschland ganz sicher moderner und demokratischer gemacht“, sagt Schulz über die Brandt/Scheel- und Schmidt/Genscher-Jahre. Es folgte ein Lob für FDP-Chef Christian Lindner, der nicht wie sein Mentor Guido Westerwelle nur auf Steuerpolitik setzte. Kompatibel zur FDP könnte der Steuerteil des künftigen SPD-Programms etwa bei einer Reform der Besteuerung von Firmenerben und Entlastungen der Mittelschicht sein.
Woher kommt die neue Leidenschaft für die Liberalen? Als treibende Kräfte werden in der SPD die konservativen „Seeheimer“und die in der Mitte verorteten „Netzwerker“ausgemacht. Sie setzten nach dem rot-roten Dämpfer im Saarland Schulz unter mächtigen Ampel-Druck. Dazu passte die jüngste Ansage aus Hannover. Am Wochenende machte Altkanzler Gerhard Schröder die rot-rot-grüne Option für die SPD mehr oder weniger platt.
„Ich glaube nicht, dass man das hinbekommt, solange die Familie Lafontaine in der Linkspartei tonangebend ist“, sagte Schröder im „Spiegel“, in Anspielung auf das linke Vorzeigepaar Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Schröder hatte 1998 zwar mit RotGrün das Kanzleramt erobert – sein Wahlkampfmotto „Gerechtigkeit und Innovation“zog aber auch in der Mitte. Schulz hat Vergleichbares bislang nicht zu bieten. Sein Reformvorschlag für Schröders „Agenda 2010“war ein Köder für das linke Lager.
Nun schlägt Schulz andere Töne an, die zum Flirt mit der FDP passen. Hat Ex-Parteichef Sigmar Gabriel Regie geführt, um verunsicherte bürgerliche Wähler zu besänftigen? Schulz geht damit Risiken ein. Im linken SPD-Flügel sitzen viele Rot-Rot-Grün-Fans, die mit der FDP nichts anfangen können und einen echten Politikwechsel erwarten.
Die FDP scheint die AmpelAvancen der SPD zu genießen – und geht mit unterschiedlich raumgreifenden Schritten auf Distanz. Lindner freut sich zwar, dass „die SPD ihre alten Feindbilder einpackt“, zieht aber inhaltliche Grenzen. Wenn die SPD „vor allem über Steuererhöhungen sprechen will, dann werden die Gespräche kurz“. Parteivize Wolfgang Kubicki kann sich indes Spott über den „kurzzeitig zum roten Messias erhobenen Martin aus Würselen“nicht verkneifen.
Schulz’ Schmusekurs dürfte Lindner und Kubicki, die im Mai
„Die sozialliberale Koalition hat Deutschland ganz sicher moderner und demokratischer
gemacht.“
Martin Schulz
über die SPD-FDP-Zeit von 1969-1982
in den SPD-regierten Ländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein entscheidende Wahlen bestehen müssen und dort nicht für eine Ampel stehen, nicht so unrecht sein. Denn die Debatte macht ihre Partei weiter hoffähig. Zurück in den Bundestag und dann mal sehen – von ihrem Kurs der Eigenständigkeit will die FDP indes nicht abrücken. Zwar gebe es „die größten Überschneidungen weiterhin mit der CDU“, sagt Lindner. Aber man kenne ja das Programm der SPD noch überhaupt nicht. Auf die Scherzfrage, ob er eigentlich selbst Kanzler werden wolle, kommt die Antwort prompt: Nein, „ich will aber Kanzler machen“. Er fühle sich schon „wie ein Rennpferd in der Box“.