Saarbruecker Zeitung

Meine kommunisti­sche Bank

Banken und Sparkassen als Hort des Kapitalism­us? Marco Reuther hat da nach seinem letzten Besuch in seiner Hausbank so seine Zweifel. Was alles passieren kann, wenn man Geld nicht mehr am Schalter abheben kann.

- Produktion dieser Seite: M. Rolshausen, A. Mandersche­id J. Wingertsza­hn

Eigentlich hätte ich ja gedacht, dass Banken und Sparkassen ein Hort des Kapitalism­us sind. Doch meine Hausbank – und wohl nicht nur die – scheint inzwischen fest in kommunisti­scher Hand zu sein. Denn war es nicht ein Klassiker kommunisti­scher Regime, dass Leute, die nicht die Vorgaben des Regimes erfüllen wollten, in ein Umerziehun­gslager gesteckt wurden? So erging es auch Puyi, dem letzten Kaiser Chinas, und so geht es auch dem König Kunden in Banken und Sparkassen – die werden zwar nicht ins Lager gesteckt, bekommen aber, wenn sie zum Beispiel Geld abheben oder eine Überweisun­g abgeben wollen, zu hören: „Wie? Am Schalter wollen Sie das machen? – Ich zeige Ihnen mal, wie das am Bankautoma­ten viel besser geht.“

Zu beobachten war dann neulich (abgesehen von der geschrumpf­ten Schalter-Zahl und zwei ausgefalle­nen Bankautoma­ten), dass vor einem Automat ein jung-dynamische­r Mitarbeite­r einem staunenden Senior den Umgang mit der Technik erklärte, während dahinter die Schlange immer länger wurde. Am Automat daneben wurde die Schlange ebenfalls länger – weil dort ein anderer Senior seine Geheimzahl vergessen hatte, wobei sich ausgedehnt­es Nachdenken mit verzweifel­tem Tasten-Tippen abwechselt­e. Doch für die Bankmitarb­eiter ist die ganze Sache auch nicht einfach, wenn sie von oben verordnet bekommen, den Kunden in einer überaltert­en Gesellscha­ft die wunderbare Welt der Bankautoma­ten zu preisen und so ihren eigenen Arbeitspla­tz in Frage zu stellen. Jedenfalls seufzte ein junger Banker, nachdem er gerade dem Ich-weißnicht-wievieltem-Ü-80-Jährigen die Technik erklärt hatte, mindestens genauso herzerweic­hend wie der Mann ohne Geheimzahl.

Aber wir wollen jetzt mal die Kirche im Dorf und den Kaiser in China lassen, denn es stimmt ja schon, dass die Bankautoma­ten eine Verbesseru­ng bedeuten. – Nein, nicht für den Kunden. Aber für die Bilanz der Bank.

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