Das Geheimnis der Urwald-Katze(n)
SERIE REPORTAGE DER WOCHE Das ganze Saarland ist von Wildkatzen besetzt. Das ganze Saarland? Vielleicht. Naturschützer Martin Lillig vom BUND Saar untersucht derzeit den letzten blinden Fleck – mit Pinzette und Prinzipien.
QUIERSCHIED Treffer. An Lockstock Nummer 4 sind Haare zu sehen, ganz deutlich. Ein ganzes Fell-Büschel klebt an der präparierten Holzlatte, die im feuchten Waldboden steckt. Hell sind die Haare, mit schwarzer Unterbrechung – das würde passen. Gibt es sie also wirklich, die saarländischen Urwald-Katzen? Sicher ist das noch nicht. Aber der Mann, der jetzt im Unterholz zur Tat schreitet, vermutet es. Martin Lillig lächelt kurz, dann kramt er ein Plastiktütchen aus seinem Rucksack, dazu eine Pinzette. Vorsichtig pickt der 57-Jährige die Haare ab, schiebt sie ins Tütchen, zurrt fest und sagt: „Sehr schön.“
An zwei von zehn Stöcken findet der Naturschützer in Jeans und Allwetterjacke an diesem Morgen Fell-Büschel, die nach Wildkatze aussehen. Und darum geht es bei dieser Aktion des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Saarland: Herausfinden, ob die seltene Katze im Saarkohlenwald zwischen Fischbach, Göttelborn, Holz und Saarbrücken lebt. „Nach Hochwald und Warndt ist es das letzte große Waldgebiet im Saarland, in dem es noch keinen Nachweis gibt“, sagt Lillig, BUND-Mitarbeiter und Biogeograph. Noch ist es also ein Geheimnis. Doch die Haare sind ein gutes Zeichen.
Seit den 70er-Jahren ist der BUND als Umwelt-Lobby aktiv, mit Projekten von Artenschutz bis Umweltpädagogik. Im Saarland hat die Organisation rund 4500 Mitglieder, bundesweit rund 560 000. Wichtiges Arbeitsgebiet ist der Wildkatzen-Schutz – und hier ist Martin Lillig Experte. Um die Wildkatzen-Landkarte des Saarlands zu vervollständigen, greift er zur Lockstock-Methode.
Die zehn Stöcke, die Lillig aufgestellt hat, sind mit Baldrian besprüht. Der zieht (Wild-)Katzen magisch an, wie ein Sexuallockstoff. Katze kommt, riecht, reibt sich am Stock, hinterlässt Haare. Um zu prüfen, ob und wie viele Wildkatzen das tun, klappert Naturschützer Lillig seine Stöcke seit Anfang Februar bis Ostern einmal die Woche in aller Früh ab. Weil die Katzen derzeit in Paarungszeit und damit umtriebig sind, ist die Jahreszeit günstig. Zu sehen sind die scheuen und nachtaktiven Tiere so gut wie nie, nur ihre Spuren hinterlassen sie. Fünf Stunden braucht Lillig für eine Runde, bei jedem Wetter. Naturschutz kann mühsam sein.
Nachdem Lillig die gefundenen Haare vom Lockstock eingetütet hat, muss der Fundort dekontaminiert werden. Heißt: Der Katzen-Sucher brennt den Stock mit dem Bunsenbrenner ab, „damit kein altes Genmaterial hängen bleibt“. Dann besprüht er den Stock wieder mit Baldrian-Tinktur – der Köder ist neu ausgebracht. Sieht ein wenig aus wie CSI für Wildtiere – wobei die richtige Analyse andere machen. „Wir sammeln die Haare und schicken sie dann ins Senckenberg-Institut in Hessen“, erklärt Lillig. Das Institut analysiert die DNA, die rund 4000 Euro Projektkosten trägt der BUND aus Spenden von Mitgliedern und Förderern. „Im Spätsommer werden wir wohl ein Ergebnis haben“, sagt der Experte.
Es kann auch sein, dass die Haare von streunenden Hauskatzen stammen. Die Verwandten werden oft verwechselt. Doch der genetische Code bringt Klarheit – und schon jetzt ist Martin Lillig zuversichtlich. Vor allem der „Urwald“, ein geschütztes Wald-Projekt innerhalb des Saarkohlenwalds, und das benachbarte Prozessschutzrevier Quierschied, wären ideal für die Wildkatzen, die es dicht und versteckt mögen. Insgesamt stehen die Lockstöcke auf 35 Quadratkilometern verteilt. 5000 Fußballfelder für die Suche nach der Urwald-Katze.
In zehn Bundesländern läuft das BUND-Projekt derzeit. Während anderswo auch viele Ehrenamtliche ausrücken, ist Hauptamtler Lillig im Saarkohlenwald allein auf der Haar-Pirsch. „Aber das ist ok.“Denn er hat Erfahrung.
Zuletzt sammelte Lillig Haare für die große, bundespolitisch geförderte BUND-Studie „Wildkatzensprung“, bei der die Tiere bis 2014 über Jahre bundesweit gezählt wurden, mit der LockstockMethode. „Damals kam heraus, dass das Saarland ein beliebtes Land bei Wildkatzen ist“, erinnert sich der Doktor der Umweltwissenschaften. In Deutschland, Europas Wildkatzenregion Nummer 1, leben bis zu 7000 der Tiere in freier Wildbahn. Im Saarland geschätzt 250 bis 300. Genau ist das nicht, weil nicht jedes an einem Lockstock vorbei streift. Die Kohlenwald-Katzen kämen nun noch hinzu, wenn sie denn da sind.
Auch im neuen Nationalpark Hunsrück-Hochwald lief jüngst eine Lockstock-Suche nach der Wildkatze – die sogar das Logo des neuen Nationalparks ziert.
Nicht immer war sie so beliebt. Seit rund 190 000 Jahren lebt felis silvestris silvestris in Europa, zu Beginn des 20. Jahrhunderts war sie fast ausgerottet, vor allem durch Jagd. Heute arbeiten auch die Jäger im Saarland mit am Schutz der Katze, sagt Lillig. Seit den 1930er-Jahren steht die scheue Gestreifte in Deutschland unter Naturschutz. Vor allem in der Eifel und Nachbarregionen lebt sie gern – im Saarland wurde sie in Hochwald und Warndt, bei Tholey und im Bliesgau nachgewiesen. Also fast überall, wo Wald ist. Ein gutes Zeichen, denn wo sie lebt, geht es auch anderen Tieren gut, sagt Lillig. Hofft er, dass die Katze auch bei Fischbach lebt? „Es wäre schön.“Andererseits wäre sie auch bedroht – wegen der nahen Autobahnen.
Denn der Mensch ist ein Problem für die Katzen. Hauptsächlich, weil er die Wälder zersiedelt hat und eben Auto fährt. Auch wenn die scheue Katze Siedlungen meidet; überfahren wird sie trotzdem – deshalb kämpft der BUND „im Sinne aller Arten“für „Grünbrücken“. Die begrünten Querungen über Straßen seien auch wichtig, damit die Wildkatzen leicht in andere Reviere gelangen, Inzucht und Krankheiten ausbleiben. Die „grüne Infrastruktur“, die der BUND seit Jahren von der Politik fordert, sei aber „eine Geldfrage“, weiß Lillig. Bislang gebe es noch keine Grünbrücke im Saarland.
Wieso ist die Wildkatze überhaupt wichtig? Martin Lillig neigt nicht zu Öko-Fanatismus, umso eindrücklicher seine Antwort. „Nun ja: Am Ökosystem Wald würde sich nichts ändern, wenn die Wildkatze fehlt. Fuchs oder Eule könnten ihre Aufgaben übernehmen. Aber ich finde, dass jede Art ein Recht auf Existenz hat. Und es steht dem Menschen nicht zu, sie auszurotten.“